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- 12 11 2002 - 18:54 - katatonik

Noch so ein Motiv

Auch bereits mehrmals gelesen: Obwohl X gegen den Westen/die Moderne ankämpfen, sind sie doch ein Produkt derselben, weil sie westliche/moderne Technologien kennen und in ihrem Kampf benützen, oder weil sie durch westliche/moderne Kultur geformt sind.

Angewandt auf islamistische Terroristen oder auch auf japanische Kamikazeflieger.

Ich frage mich seit längerem, was die, die solche Formulierungen benützen, eigentlich mit dem “obwohl” zum Ausdruck bringen wollen: ihr eigenes Erstaunen (“man würde es nicht erwarten, aber …”) oder tatsächliche Spannungen im Verhalten der X, Spannungen, die irgend etwas an diesem Verhalten begreiflich oder verständlich machen sollen.


Das ist das Motiv der reaktiven Hoffnungslosigkeit. Man will damit verdeutlichen, dass es sinnlos ist, sich gegen den Kapitalismus, die USA, den Westen aufzulehnen, weil diese bereits, wie in "Hase und Igel", sämtliche Positionen besetzt haben und der Widerstand daher zu spät kommt und hoffnungslos ist, obwohl Taktiken verwendet werden, welche von den Gegnern zum Erreichen ihrer Macht erfolgreich eingesetzt worden sind.

gHack (Nov 12, 07:03 pm) #


Hm. Das glaube ich eigentlich nicht, oder zumindest nicht für alle Fälle, wo ich solche Formulierungen gelesen habe. Es scheint mir da kaum um die Beurteilung der *Sinnhaftigkeit* des Kampfes zu gehen, sondern um das Aufzeigen einer Spannung oder Paradoxie, die zwar *etwas* erklären soll, aber vielleicht nicht unbedingt Sinnhaftigkeit. Auch wird da oft sehr vage mit Begriffen wie "USA", "Westen" usw. umgegangen. Auch bin ich noch nicht wirklich an einem Gedanken angelangt, jaja.

Aber jetzt von meinen "obwohl"-Kiefeleien unabhängig daran anknüpfend, was Du meinst: Wenn man schon der Konzeption folgt, die ein umfassendes System, sagen wir: Kapitalismus, USA, Westen, kennt und islamistische Terroristen als solche betrachtet, die dagegen ankämpfen *wollen* (d.h. das ist ihre bewußte Absicht), dann hätte man dann also darauf hingewiesen, dass der vermeintliche Kampf *gegen* ein System ein Kampf *im* System ist. Oder?

katatonik (Nov 12, 07:19 pm) #


Man sucht halt nach Erklärungen und kommt dann drauf, dass die Terroristen halt das von der westlichen Kultur übernehmen, was ihnen passt. Also moderne Waffen, aber keine Emanzipation der Frau. Welches System was inkludiert müsste man nach den verschiedenen funktionalen Kreisen betrachten. Sie sind ins System der Weltwirtschaft inkludiert, aber in andere wieder nicht.

gHack (Nov 12, 08:08 pm) #


"Funktionale Kreise" - ein Wort, nach dem ich schon lange suchte, was mir gerade erst aufgefallen ist.

katatonik (Nov 13, 12:24 pm) #


Ja, zwei Wörter, gut.

katatonik (Nov 13, 12:24 pm) #


"Obwohl X gegen den Westen/die Moderne ankämpfen, sind sie doch ein Produkt derselben" muss doch nicht unbedingt eine wertvolle Aussage sein, oder? Das jemand einen Flugzeug faehrt oder eine Plastikbombe bastelt heisst nur, dass er (in diesen Faellen recht selten sie) eine Technologie beherrschen kann, das war doch nie in Frage. Wahrscheinlich schon wieder irgendetwas philosophisches missverstanden.

thomas nephew (Nov 14, 12:18 am) #


Solche und ähnliche Aussagen treten recht häufig auf. Auch wenn sie sachlich keinen Wert haben mögen und auf Täuschungen beruhen, wäre doch interessant zu überlegen, ob sie auf systematischen Täuschungen beruhen, und woher diese Täuschungen kommen. Oder, etwas weniger böswillig ausgedrückt: Vielleicht drücken sich da gewisse alltägliche Mythen aus, und welche wären das dann?

Vielleicht kann man solche Aussagen, die im Kontext von Kämpfen und terroristischen Akten getroffen werden, mit anderen Aussagen in Zusammenhang bringen, die im Kontext der Berichterstattung über Internet und Technologie oft auftreten.
In Berichten über die Internetnutzung in Asien etwa kommen immer wieder Websites indischer Tempel vor oder die Herstellung und Benutzung von CD-ROMs mit heiligen Texten durch buddhistische Mönche. Auch in diesen Berichten steckt oft ein implizites "obwohl" - ein Staunen oder auch Sich-Lustig-Machen darüber, dass *sogar* hinduistische Priester oder buddhistische Mönche das Internet verwenden (bzw. *sogar* der Vatikan). Offenbar werden bestimmte Formen der Technologie und ihrer Verwendung als Teile bestimmter - moderner, säkularer, westlicher - Lebensweisen oder gar Geisteshaltungen aufgefaßt, und was davon abweicht, überrascht oder verwundert.
Hat man sich eigentlich über die Verwendung des Telefons oder der Eisenbahn durch Geistliche ähnlich gewundert - damals, als diese Technologien eingeführt wurden? Nonnen, die Auto fahren, sind ja an manchen Orten auch eine Quelle des alltäglichen Erstaunens.

Man könnte jetzt ja auch weitergehen und in einer ironischen Wendung meinen, gerade diese Verknüpfung von Technologie und Geisteshaltung/Kultur wäre etwas Prämodernes - insofern würden sich die, die über die Vatikan-Website lachen, als prämoderner entlarven als die, die sie gestalten.

katatonik (Nov 14, 02:16 pm) #

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