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- 7 03 2003 - 01:59 - katatonik

Körperlenken

Es gibt nur eine Schwimmhalle in der Stadt, die 50-Meter-Bahnen hat. Man hat dort auch “Themenbahnen”, abgetrennte Schwimmbeckenbereiche, innerhalb derer man angehalten wird, sich nur so und nur so zu bewegen. Am Beckenrand stehen Schilder: “Schule”, “Tempo”, “Rückenschwimmen”. Es gibt einen Sprungturm.

Ein Samstag, ein Nachmittag. Hellgrau. Ein pickliger Knabe im Stimmbruchalter zappelt mir forsch in den Weg, als ich, das Handtuch unterm Arm, die Schwimmbrille noch am Finger, die Sehbrille noch auf der Nase, auf einen der am Beckenrand aufgebauten Sitzfelsen zusteuere. Seine Kumpel sitzen etwas weiter hinten. Sie versuchen, ihn mit verschämtem Zujaulen zurückzuhalten, aber es ist zu spät. “Der da will mit Dir gehen!”, sagt der Zappler zu mir, auf einen der Zujauler deutend. Der forsche Blick über den Brillenrand bleibt am halben Weg stecken. Forschheit ist das nicht wert, nein. Aber was ist sowas wert? Ich sehe meinen Brillenrand immer noch an, als ich das Handtuch ablege. Ich weiss auch nicht, wie sowas geht.

Atem ins Wasser blasen. Wasserdruckwellen blasen. Den Kopf heben und ins Wasser senken. Die Wasserfläche krachen hören, wenn die Ohren eintauchen, das von den Armen und Beinen zurückgedrängte Wasser glucksen hören, wie das alles die Schreie und Rufe der Sprungturmcliquen überspült, ja, überspült. Sehen. Tief hinunter beim Sprungturm, am besten gerade dann hinsehen, wenn ein Körper eintaucht, wenn die Gliedmassen, überrascht vom Auftreffen auf die Härte des Wassers, noch zu verwirrt zu kontrollierter Bewegung sind, wenn alles umspült von weißen Luftblasensäulen nach unten sinkt, ohne Lenkung.

Am Kopf oder Fuss des Beckens, wie immer man das auch nennt, steht immer ein Männerkörper im Wasser. Ich sehe nur von der Brust abwärts, im Wasser. Es ist immer ein dicklicher Männerkörper mit einer schwarzen oder blauen, hochkantigen, eng anliegenden Badehose. Es gibt mehrere davon. Ich betrachte ihre Bäuche, unter Wasser. Immer, wenn ich am Beckenrand kurz auftauche, mich nach links wende um umzukehren und für einen Augenblick den Kopf des Mannes sehe, denke ich, es wird Ansprache erwartet oder erhofft. Ich stosse mich ab und schwimme weiter. Eine Bahn nach der anderen. Das ist der Sinn der Sache.

Über dem Kopf oder Fuss des Beckens gibt es ein Fitness-Studio mit Geräten. Durch die Glasfront sehen die Laufbandläufer und Stehfahrradtreter auf die Schwimmer hinab. Durch ihre insektenartigen Schwimmbrillen sehen die Schwimmer auf die Läufer und Treter, nur kurz, bevor sie wieder eintauchen und hellblau sehen.

Im Kästchenraum hängen zwei, drei Überwachungskameras. Sie sind alle gegen Wände und in dunkle Ecken gerichtet, wohin kein menschlicher Körper kommen kann.

U-Bahn-Station



Die U-Bahn-Station in der Nähe der Schwimmhalle. Schilder sind verwischt, Zugänge mit Metallzäunen versperrt. Gestalten kauern in Ecken. Flüssigkeiten rinnen schmale Spuren über den dunkelgrauen Boden. Aufschreien hie und da. Torkeln dort. Wanken da. Fallen dort ganz hinten, weich gegen den Körper eines anderen. Aus den Lautsprechern klassische Musik, in Moll. Unten am Bahnsteig sitzen drei, vier, fünf abgemagerte Menschen mit fahlen Gesichtern auf den Wartesitzen. Sie dämmern. Sie zucken. Es ist, als ob sie von einem Turm gesprungen wären, auf etwas Hartes aufgeprallt, in etwas Weiches eingetaucht, und in dem Moment festgefroren, da die Körper nicht gelenkt werden können.

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