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- 1 06 2001 - 02:24 - katatonik

Erwähntes und Unerwähntes, Lesenswertes

Unerwähnt bleibt, so kritisiert Colin Goldner, Autor des 1999 erschienenen Buches “Dalai Lama: Fall eines Gottkönigs”, in der Ausstellung “Geheimnisvolle Welt des Alten Tibet” der Umstand, dass etliche Nazis eine “enge Verbindung” zu Tibet besaßen, die unter anderem in der Entsendung einer Expedition 1938/39 nach Tibet resultierte. Unerwähnt bleibt in Goldners Artikel, weshalb die Entsendung einer Expedition mit bedenklichen Prämissen in einer Ausstellung über die Kultur derjeniger erwähnt werden muß, deren Schädel auf Grundlage ebendieser Prämissen vermessen wurden.
Unerwähnt läßt Goldner ferner, dass Ernst Schäfer, Leiter der Expedition, durch Eigenfinanzierung weitgehend vom an der Expedition stark interessierten Heinrich Himmler unabhängig war und sich die nationalsozialistische Organisation “Ahnenerbe” deswegen sogar von der Expedition distanzierte, weil unter den gegebenen Umständen nicht damit gerechnet werden konnte, dass “den kulturwissenschaftlichen Absichten des Reichsführers SS” gedient werde. Nun ja, medienwirksam schenkte Himmler jedem Expeditionsteilnehmer zur Abreise einen Angora-Wollpullover, ließ sie bei ihrer Rückkehr in seinem Privatflugzeug von Athen nach Deutschland bringen, empfing sie dortselbst persönlich und reichte Ernst Schäfer einen von Hitler signierten Totenkopfring sowie einen SS-Ehrendegen. Das macht die Expedition wissenschaftlich nicht weniger dubios, Goldners Darstellung allerdings doch reichlich unpräzise.
[Dazu Martin Brauen: “Traumwelt Tibet. Westliche Trugbilder”, Bern etc.: Haupt, 2000, Katalog zu dieser Ausstellung in Zürich, noch bis 4.6. zu sehen.]
Erwähnt werden bei Goldner “persönlichen Kontakte des Oberlamas” – d.i. des Dalai Lama – zu alten und neuen Nazis in aller Welt”. Nicht erwähnt wird, um welche Nazis es sich da handelt, und welcher Art die Kontakte denn da wären. Es soll ja schon vorgekommen sein, dass Hollywood-Schauspieler aufgrund bloßer Ansicht eines Dalai-Lama-Bildchens behaupteten, seine Busenfreunde zu sein. Man soll Nazis doch nicht per se unterstellen, sie wären dümmer als Hollywood-Schauspieler.
[Zu Tibet und Hollywood Orville Schells “Virtual Tibet”.]
Erwähnt werden von Goldner ferner allerlei Grausamkeiten der traditionell tibetischen Gesellschaft. Allerdings macht auch er sich jener Vorgangsweise schuldig, die unsereiner bereits an dieser Stelle der von Goldner selbst kritisierten Ausstellung vorwarf: Ebenso, wie die Ausstellung Tibet als zeitloses mythisches Reich voll schwebender Lamas zeichnet, so zeigt Goldner das Land als keinerlei Veränderung erfahrendes Jammertal, in dem die Lamas nun eben nicht schweben, sondern tagein tagaus alle Nichtlamas unterdrücken und ausbeuten: “Für die große Masse der Bevölkerung bedeutete die Mönchsdiktatur tatsächlich jene »Hölle auf Erden«, von der Mao immer wieder sprach und die zu beenden die chinesische Volksbefreiungsarmee als revolutionäre Verpflichtung ansah und als legitimen Grund für die Besetzung des Landes. Die Barbarei, die Verbrechen und die politischen Fehler, die von den kulturrevolutionären Befreiern selbst begangen wurden, ändern nichts an der Richtigkeit dieses Urteils.” Aber auch die Richtigkeit eines Urteils ändert nichts daran, dass das am lautesten abgegebene Urteil oft nicht dem eigentlichen Beweggrund für politisches Handeln entspricht, dass auch richtige Urteile fragwürdigen Ideologien entspringen (etwa der, dass zivilisatorisch zurückgebliebene Minoritätenvölker auf die erhabene Zivilisationsstufe der Han-Chinesen anzuheben seien), und dass angesichts der heutigen Lage Tibets das Beharren auf der Richtigkeit von (ausgerechnet) Maos Behauptungen einer gewissen Lächerlichkeit nicht entbehrt. Erwähnt sollte ferner werden, dass die Abhandlung einer komplexen historischen und politischen Situation in platter apologetischer Mao-Rhetorik einer intelligenten Zeitschrift eigentlich nicht würdig ist.

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