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- 6 11 2003 - 00:28 - katatonik

Schenken, Schicken, Scherbeln

Mann oder Frau, aus Notlage oder Daseinsvereinfachungswunsch, geht daran, die Wohnung durchzusehen, Dinge auszusortieren. Das Buch wird nicht mehr gelesen, dieses Regal ist entbehrlich, die alten HiFi-Boxen will keiner mehr.

Was passiert mit den Dingen? Manches wird verschenkt. In Anrufen die beiläufige Frage (“möchtest Du vielleicht …?” “Könntest Du vielleicht … brauchen?”), und vor den Brauchkönnfragen immer das Zögern, ob man die andere Person mit angenommenen Bedürftigkeiten von Gebrauchtgut nicht beleidigt. Treffen, hie und da, beiläufiges Überreichen, bewusst dezentes Entgegennehmen, begeisterter Empfang.

Anderes wird versteigert, über eBucht. Überlegungen: welches Buch dahin? Welches Buch über spezielle Gebrauchtbuchseiten verkaufen? Welches Buch verdient einen Festpreis, welches kann auktioniert werden? Welches wird einfach nur freigesetzt? Wo beginnen “leichte Gebrauchsspuren”, wo endet “wie neu”?

Es kommt zu Verkäufen, Versendungen, Vereinbarungen. Warteschlangen auf Postämtern. Entdeckungen, dass Käufer gleich um die Ecke wohnen, dann vorbeikommen, Hände schütteln, Geld gegen Gut tauschen, plaudern, erzählen, warum sie X brauchen oder Y wollen, immer schon wollten, gesucht haben. Anderen bringt man selbst was vorbei, vielleicht, weil sie am Weg nach irgendwohin wohnen, kriegt Kaffee angeboten, würde gerne Kaffee angeboten kriegen, kriegt nichts angeboten, würde lieber nichts angeboten kriegen.

Obskure Treffen mit wieder anderen, die in der gleichen Stadt wohnen, in U-Bahn-Stationen, am Bahnsteig ganz hinten Richtung soundso. Da kommt man hin, da sitzt eine blasse blonde Dame, man weiss nicht, setzt sich auf die Bank, ans andere Eck von ihr, und als sie nicht aufsteht, als die Bahn einfährt, spricht man sie an. Sie nickt, lächelt gar nicht, überreicht gewärmtes Geld, das sie die ganze Zeit über schon in der Hand gehalten hatte, man überreicht ein Buch, mitten im Bahnaussteigerstrom stehend. Dann geht sie weg, man geht in die selbe Richtung hintendrein, weil der Bahnsteig nur einen Abgang hat, überholt sie dann doch, aber ohne sie anzusehen, denn irgendwie glaubt man, sie würde das eh nicht wollen, so ein stilles, lächelloses Wesen.

Dann noch der Müll, den man verschämt in unpassende Mülltrennungsbehältnisse steckt, weil es keine richtigen gibt, oder der Sperrmüll, der nachts in auf der Straße stehende Halden geworfen wird (aus denen er morgens schon verschwunden ist), das funktionsfreie Elektrogut, das einfach in einem dunklen Hauseingang verschwindet (wo es ein paar Tage noch steht).

Wo beginnt Verschwendung? Womit entlarvt man sich als Dingkreislauffetischist, der nichts einfach wegwerfen kann, sondern mit penetrantem Nutzdenken die Umgebung tyrannisiert, weil ja alles irgendwem noch nützlich sein muss? Alte Kabel nach Afrika? Stecknadeln nach Subsaharien?

Transaktionen, Überlegungen, Transporte. Dingrhythmen, die Tage bestimmen.

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