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- 20 06 2006 - 23:46 - katatonik

Rock'n Roll Heat

Abends dann noch Hunger und nach draußen, die Brunnengasse hinauf zum Yppenplatz. In der leeren, dunklen, vom Marktgetümmel befreiten Gasse kommt mir ein Mann mit dezentem Headset entgegen, oder wie immer man Vorrichtungen nennt, mit denen Zivilpolizisten heutzutage Funkkontakt mit ihren Kollegen aufrechterhalten, am Ohr festgemacht, über die Wange zum Mund geführt.

Der Mann sagt zum Headset: Jetzt is er aus dem Lokal raus ... geht wieder zurück ins Lokal ... ist im Lokal.

Ich sehe mich um und nichts Auffälliges. Einige Meter weiter dieses Wettlokal, von dem P. unlängst erzählt hatte, dubios, Umschlagplatz für gröblich illegale Substanzen. Davor stehen Männer, die dem Headset-Mann ähnlich sehen: gedrungen, muskulös, kurzhaarig bis geschoren, ernsthaft, zum Sprung angespannt. Die Männer öffnen die Tür und gehen ins Lokal.

Ein paar Meter nach dem Lokal treffe ich J., die ihr Fahrrad schiebt. Ich erzähle ihr, dass da anscheinend eine Razzia im Gange sei. Da kommen die Männer auch schon mit einem rastalockigen Schwarzen auf die Gasse, der gut zwei Kopf größer ist als jeder einzelne von ihnen. J. und ich bleiben stehen, vor dem leeren Marktwagen, der die Männer und den Schwarzen von uns trennt.

Er habe keine Drogen, sagt er, wiederholt, auf Englisch, er sei nur da gewesen, um etwas zu trinken, aber keine Drogen, nein. Ich höre nicht, was die Polizisten sagen. Der Pulk bewegt sich langsam, nicht hastig, die zarte, träge Agression der hitzegeschwächten Macht im Zugriff.

Die Polizisten bemerken uns, die wir da stehen und stumm zusehen. Was macht’s’n da?, fragt J. Arretierung eines Drogendealers, sagt ein Kurzgeschorener. Er zeigt sofort seine Dienstmarke. Wenn Sie ihn kennen, können Sie ihn morgen besuchen, Landesgerichtsstraße 1. Wenn nicht, dann darf ich Sie bitten weiterzugehen. Wir bleiben da stehen. ... aber Sie können natürlich auch da stehen bleiben. Wir sagen nichts und schauen weiter zu. Ein Auto kommt, der Schwarze wird vom Männerpulk, der ihn umgibt, ins Auto bewegt. Das Auto fährt weg.

Auf der Piazza, wie man das gastgartenbelegte Areal des Yppenplatzes jetzt nennt, dringen Fussballgeräusche aus dem Kleinfernsehapparat eines Standes. Alle Gastgartentische sind besetzt. Ich suche Nahrung und werde auf Umwegen fündig, indem ich dem Koch des einen Cafés einen Hühnersalat abluchse, den er zu den Tischen des anderen Cafés serviert, wo die Küche bereits geschlossen hat. Es wird geplaudert. Um 23:00 ist aber Schluss, denn da müssen die Gastgärten jener Cafés schließen, die keine alteingesessenen sind oder nicht Hauseigentümern gehören. Die anderen halten länger offen, noch eine halbe Stunde vielleicht, aber wenn die einen nicht zeitgerecht sperren, bekommen sie von den anderen Anzeigen; so läuft das. Es läuft überhaupt einiges unsympathischer hinter den Kulissen der Piazza-Lokale, aber wir sprechen dann doch lieber über illustre Morde (Schwammerlsucher finden Köpfe im Wald, Eissalon-Kopfschussvorfälle in Ottakring etc.pp.). Es ist immer noch heiß. Niemand würde auf die Idee spätnächtiger Langärmeligkeit verfallen.

Als ich am gastgartenschließbedingten Rückweg am Wettlokal vorbeikomme, tritt ein gedrungener Geschorener daraus auf die Gasse. Er hat ein Headset, oder wie man diese Dinger eben nennt. Er spricht zum Headset. Ja, jetzt schaun’s grad. Na, von da oben runter. Jetzt schaun’s, ob I weggeh. Ja, jetzt schaun’s. Einige Häuser weiter, schon fast an der Thaliastraße, tönt laute Rock’n-Roll-Musik aus der Gegensprechanlage eines Hauses.

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