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- 7 09 2008 - 20:30 - katatonik

Fiebertraum auch für Gesunde

“… Als zu viele der Insassen diese Freiheit in eigenem Sinne nutzten, indem sie ihre Zeit zum Betteln und ihr Geld für Branntwein einsetzten, beschränkten die liberalen Behörden die Kaufkraft der Währung: sie erfanden eigenes Mauerbach-Geld. Münzen, die nur in der Anstalt Wert besassen.”

“… Die Kartause blieb Armen- und Siechenhaus bis ins 20. Jahrhundert. Im Nationalsozialismus wurden auch aus Mauerbach Geisteskranke zur Tötung abgeholt; nach 1945 war Mauerbach, in nicht wesentlich geändert ruinösem Zustand, Obdachlosenasyl, bis die Anstalt 1960 endlich geschlossen wurde. Einen Eindruck davon, was es geheissen haben mag, in einem der Krankensäle der Kartause zu sterben, konnte man noch bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts in der Brüderkirche gewinnen: Ganz oben, unter dem Dach, war eine Zwischendecke eingezogen, die Betten müssen neben und zwischen den aus dieser Perspektive riesigen Stuckmönchen gestanden haben, ein Fiebertraum auch für Gesunde."

Mauerbach im Wienerwald, westlich von Wien, gleich nach der Stadtgrenze. Ein sehr langgezogener Ort an einer viel befahrenen Bundesstraße, man sucht sich als Durchfahrender, Durchspazierender zentrumsbildende Punkte (Supermarkt, Post, Gemeinde, Kartause, alle anderswo voneinander), findet nichts. Privathäuser unterschiedlicher Bauperioden, die zu 80% die jeweiligen Horrorszenarien damaliger Baukunst schamlos ausagieren (Imperialkitsch, McMansion, Tirolerhaus).

Kartauserkloster (Kartäuserkloster?): aufgehoben 1782 von Joseph II. Säkularisierung. Davor: Beten, lesen, schreiben, denken, singen, gärtnern, schweigen, Schildkröten essen.

Das Mauerbachgesetz: 1966 waren 8.422 Kunstobjekte (auch Bücher) aus “Restbeständen” in der Kartause Mauerbach eingeladen worden, deren rechtmäßige Eigentümer vor dem Herrschaftsantritt des Nationalsozialismus nicht mehr festgestellt werden konnten, die man nicht feststellen wollte, was weiß man. In den 1980er Jahren, einige Listenveröffentlichungen und Verfahrensdurchläufe später, waren noch 8.153 Einzelstücke übrig. Nach einer Auktion waren es noch 8.002, dann das Mauerbachgesetz, mit dem der österreichische Finanzminister ermächtigt wurde, nicht Restituierbares unentgeltlich der Israelitischen Kultusgemeinde zu übereignen. (Quelle).

Schloss Mauerbach. Es liegt, wenn man von Hadersdorf kommt, linker Hand einen Hügel hinan, Seminarzentrum, weitläufiger Park. Wechselvolle Geschichte. Jahrhundertelang von einer Adelsfamilie zur anderen, dann bürgerliche Eigentümer, scheinbar, ab 1932 ein gewisser Dr. Richard Aninger (Rusticola AG, Vaduz), der 1939 enteignet wurde. Zwangsverkauf des Schlosses und der landwirtschaftlichen Grundstücke an Leo Graf Zeppelin-Parcus. Abriss des Schlosses dann, nach weiteren Eigentümern, 1957, dann Grundstückshändel in die eine oder andere Richtung, 2003 Kauf durch eine Holding GmbH, Errichtung eines Seminarhotels, 2008 eröffnet.

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