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- 22 07 2001 - 03:08 - katatonik

Von möglichen und unmöglichen Gegnerschaften

Den Ausdruck “Globalisierungsgegner” finde ich auch sehr merkwürdig, allerdings weniger, weil vernünftige Menschen nicht glauben würden, allfällige Globalisierungen aufhalten oder rückgängig machen zu können. Ich bin ja auch ein Erderwärmungsgegner, auch wenn ich nicht glaube, dass sich die – wodurch auch immer verursachte – Erderwärmung aufhalten oder rückgängig machen lässt. Natürlich kann man vernünftig sein und sich dennoch gegen Entwicklungen, von deren Unvermeidlichkeit man überzeugt ist, aussprechen – ein “Gegner” im Sinn eines “Kritikers” sein. Wäre Vernunft dadurch charakterisiert, dass man nur Meinungen gegen realistisch beseitigbare Phänomene und Entwicklungen bildet, so wären vermutlich wenige bedeutsame politische Aktivisten der Vergangenheit vernünftig gewesen. Das erinnert mich an bestimmte Pragmatiker unter den Philosophen, die Wahrheit als dasjenige begreifen, über das sich alle einig sind. Nein, das schätze ich nicht.
Der Ausdruck “Globalisierungsgegner” taugt meiner Ansicht nach deshalb nicht als Beschreibung für die vielen Menschen und Gruppen, die in Genua demonstrieren, diskutieren, agieren, weil der Ausdruck “Globalisierung” gar so unterschiedlich verwendet und verstanden wird. Wenn derlei Schwammigkeit sich als Bezeichnungsgrundlage durchsetzt, steckt meistens mehr dahinter.
Der Ausdruck “Globalisierungsgegner”, scheint mir, kommt aus einem bestimmten politischen Umfeld: Wer ihn verwendet, teilt damit schon sein Werturteil über die mit, über die er spricht. “Globalisierungsgegner”, darunter versteht man heute wohl vorwiegend politische Aktivisten, die sich außerparlamentarisch betätigen und Aktionsformen wählen, die in institutionalisierten Politikformen keinen Platz haben: Demonstrationen, Besetzungen.
Das ist bei einem bestimmten Politikverständnis suspekt, und die, denen das suspekt ist, scheinen zumindest in Österreich immer mächtiger zu werden. Wo demonstriert wird, wird der Versuch einer “Politik der Straße” unterstellt; unterschwellig schwingt eine Angst vor der Menschenmasse mit, der brutalen, unkontrollierbaren, die nichts als Gewalt und ihren Einsatz zur Verwirklichung ihrer Ziele kennt.
Es wird nicht in Erwägung gezogen, dass politische Ausdrucksformen einander ergänzen, dass das Präsentsein auf der Straße eine Präsenz in Institutionen symbolisch ergänzen kann und nicht unbedingt ersetzen muß. (Leider ist das praktisch selten der Fall, zumindest hierzulande, wo sich politischer Unmut immer mit derartigem Ungestüm in symbolische Straßenpräsenz stürzt, dass für den Aufbau institutioneller Mächtigkeiten und Einflußmöglichkeiten keine Kraft und Zeit mehr bleibt.) Die Straße als politischer Ort wird diffamiert. Aber es wird auch denen, die sie als politischer Ort wählen, der Zutritt zu anderen, akzeptablen politischen Orten verwehrt.
“Globalisierungsgegner” teilt sein Schicksal mit “Chaoten”: Beide Ausdrücke waren, scheint mir, ursprünglich deutlich abwertende Bezeichnungen für politische Akteure, die außerhalb der Rahmens demokratisch-repräsentativer Institutionen angesiedelt werden oder auch sich selbst dort ansiedeln. Beide Ausdrücke sickerten nach und nach in den medialen und alltäglichen Sprachgebrauch ein und treten, zumindest meinen medialen Spaziergängen zufolge, mittlerweile in Zusammenhängen auf, wo eigentlich neutrale Beschreibungen vorkommen sollten.
Dass man solche Menschen heute “Globalisierungsgegner” nennt, kann, wenn Bourdieu/Wacquant (siehe unten) Recht haben und “Globalisierung” einer jener unversalisierten Ausdrücke ist, mit denen bestimmte Ideologien symbolisch verbreitet und nach und nach als unkritisierbar durchgesetzt werden, schon seine Pointe haben: Je länger man zu denen, die sich unbotmäßig, weil auf der Straße und in scheinbar ungeordneter Weise, politisch betätigen, “Globalisierungsgegner” sagt, umso schwieriger wird es, durch Kritik an mit “Globalisierung” verbundenen Phänomenen noch ernst genommen zu werden.

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