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- 18 10 2001 - 23:29 - katatonik

Fundamentalismus, beobachtet

Sudhir Kakar, Psychoanalytiker indischer Herkunft mit stark rationalistischen Einstellungen, hat 1996 ein Buch über Fundamentalismus publiziert. In “The colors of violence” (1996, deutsch: “Die Gewalt der Frommen. Zur Psychologie religiöser und ethnischer Konflikte”, übersetzt von Barbara Hörmann, C.H.Beck, 1997) dokumentiert und analysiert er Einstellungen von fundamentalistischen Hindus und (indischen) Moslems. Er versucht nicht, Konflikte auf Psychopathologien zu reduzieren, sondern als psychoanalytisch geschulter Beobachter jenen Haltungen nachzugehen, die er seinen eigenen Gesprächen mit und öffentlichen Reden von lokalen religiösen Führern entnimmt. Den Ausgangspunkt bildet Hyderabad 1990, wo während, wie es so schön heißt, religiös motivierter Unruhen etwa 300 Menschen ums Leben kamen. Sehr gut geschrieben, unaufdringlich persönlich und gleichzeitig mit vorsichtiger Bescheidenheit theoretisierend.
Als Appetizer auf dieses äußerst lesenswerte Buch die ersten etwa 3000 Wörtlein aus Kapitel Sieben, “Die muslimisch-fundamentalistische Identität” hier, bildschirmgerecht in Happen zu je 250 Wörtlein zerschnitten.
Kakar hat übrigens noch eine Fülle anderer Bücher geschrieben, über Kind und Gesellschaft in Indien, Sexualität in Indien und, gemeinsam mit Catherine Clément, “Der Heilige und die Verrückte”, wo die Biographien eines indischen Heiligen und einer französischen Hysteriepatientin nebeneinandergestellt werden. Findet man alles bei den üblichen verdächtigen Buchsuchmaschinen.


Unglaublich, was hier mitten in der Nacht vorgeht, man kommt gar nicht zu Bett.
Interessant. Mir fehlt im Einführungstext ein ganz klein wenig die früher hier gern wiederholte (und gern gelesene) Betonung der politisch-geographischen Varietäten des Islam. Oder gilt der entsprechende Einwand für den Islamismus nicht? Zieht man aus Kakars Beschreibung des indischen Fundamentalismus den Umkehrschluss, könnte man das zu glauben geneigt sein. Aber Neigungen sind ja meistens abgründig.
Was meint "stark rationalistische Einstellungen"?
Weblogs sind doch ein Paralleluniversum; und wenn ich eine gut funktionierende pacman-Version finde, schicke ich einen Link, wenn's erlaubt ist. Gute Nacht!

Marco Vogts (Oct 19, 06:06 am) #


naja, bloss weil ich etwas nicht jedesmal mantraartig wiederhole, heißt das nicht, dass es nicht mehr wichtig ist. ich bin ja kein politischer agitator, der vor jedem mikrophon sein ganzes glaubensalphabet runterbuchstabieren muß.
das politisch-geographisch-spezifische ergibt sich implizit aus kakars text, weil er eben vom indischen fundamentalismus ausgeht und sich mit dessen mythen und spielarten beschäftigt.
ihm gehts auch nicht um politisch-historische rechtfertigungen und analysen, sondern um psychologische beobachtungen. und die kann man schon mal mit interesse lesen, auch wenn daraus kaum unmittelbare konsequenzen für politisches entstehen können.
kostprobe: eigenartig, warum im kulturellen gedächtnis der hindus die moslems so viel bedrohlicher aufscheinen als die briten, obwohl die ökonomisch-politischen bedingungen das gegenteil "gerechtfertigter" erscheinen ließen, weil die briten ja immerhin den indischen reichtum nach außer landes abzockten, wogegen ihn moslemische herrscher wenigstens im land beließen.
aber in der wahrnehmung sah das eben anders aus, da gings um symbolische alltagshandlungen. die briten aßen zwar auch rind, aber eben privat und vom öffentlichen alltag des durchschnittshindus entfernt. "Der rindfleischessende Brite war fern, blieb fast abstrakt. Der muslimische Metzger in seinem blutbefleckten Unterhemd und dem lungi, der mit dem riesigen Schlachtermesser hantierte, war ein sehr sichtbarer Teil des städtischen Lebens, eine gestalt, die dem Hindukind Furcht und Schrecken einflößte, beim Erwachsenen Abscheu mit einer Spur von Angst auslöste. Der Engländer blieb der Fremde, der Muslim wurde zum anderen."
"star rationalistisch" meint übrigens, dass sich kakar immer wieder mit mythen und wahrnehmungsweisen beschäftigt, aber auch immer wieder betont, wie fremd ihm als in einer rationalistischen geisteshaltung erzogenen die denkweisen etwa von fundamentalisten sind. verständlicher?

katatonik (Oct 19, 01:33 pm) #

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