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- 30 12 2001 - 12:33 - katatonik

Rumfragen über Umfragen

Eine Meinungsumfrage würde ich intuitiv beschreiben als eine Umfrage unter einer bestimmten Menschengruppe, aus der Gesamtbevölkerung unter bestimmten Kriterien ausgewählt, zu einem bestimmten Thema. Sie dient der Ermittlung von Strömungen, Haltungen und Maßstäben in der Bevölkerung, als Grundlage für politisches Handeln, als wenn auch vage Überprüfungsmöglichkeit, inwieweit sich Einstellungen und Zielrichtungen politischer Entscheidungsträger mit denen der Bevölkerung decken. Nicht jede Umfrage ist eine Meinungsumfrage, nicht einmal jede Frage nach einer Meinung im weitesten Sinn des Wortes ist eine Meinungsumfrage in diesem engeren Sinn. Denn erstens gibt es ja etwa auch Konsumgewohnheitserhebungen, bei denen entweder über die tatsächliche Verwendung bestimmter Produkte oder Marken oder über ihre mögliche Verwendung befragt wird: verwenden Sie oft, würden Sie verwenden, wenn, warum verwenden Sie. Zweitens ist nicht alles, was man auf eine Umfrage antwortet, im prägnanten Sinn Meinung.
Wenn man überhaupt bereit ist, Meinungsumfragen einen Stellenwert in der Erhebung einer öffentlichen Meinung zuzugestehen – und ich bin heute großzügig und ergo dazu bereit -, dann haben gesellschaftspolitische Meinungsumfragen wohl nur bei zwei Frageformen Sinn: Wenn sich die Frage darauf bezieht, wie etwas sein soll, oder wenn sie sich insofern auf etwas bezieht, wie etwas ist, wenn dieser Sachverhalt überhaupt Grundlage politischen Handelns sein kann oder im konkreten Fall sein soll. Dieses “wie etwas ist” wäre demnach eine gesellschaftliche Tatsache, nicht ein Naturgesetz oder irgendeine andere Form der Information, die sich entweder prinzipiell oder konkret in der jeweiligen Gesellschaft gar nicht als gesellschaftsrelevant erweisen kann. (Letzteres ist kontingent und kann sich daher ändern.)
Meinungsumfragen erfragen also, würde ich behaupten, einerseits Meinungen als Haltungen zu einer wünschenswerten gesellschaftlichen Wirklichkeit, andererseits Meinungen als das Fürwahrhalten von gesellschaftlichen Sachverhalten, die solche Haltungen begründen können oder sollen. Fragt man nach dem Fürwahrhalten von anderen Arten von Sachverhalten, so fragt man vermutlich deshalb, um den Informiertheitsgrad der Befragten darüber zu ermitteln. Das wäre dann ein Sonderfall von Umfragen, die vermutlich vorwiegend in Gesellschaften auftreten, in denen Informiertheit hysterisch beäugt und sorgsam gepflegt wird, also etwa in unserer.
Ein Beispiel für eine Frage des ersten Typs wäre “soll die Regierung alle grünen Hüte abschaffen?”, eines für eine des zweiten wäre “verderben grüne Hüte den menschlichen Charakter?” oder auch “gibt es zu viele grüne Hüte?” Mit der Frage “wissen Sie, wo sich Ihr grüner Hut gerade befindet, so Sie einen besitzen?” würde man hingegen vermutlich eher auf Unverständnis stoßen, und zwar, wie ich meine, gerade deshalb, weil diese Art der Information keine gesellschaftliche Tatsache ist und wohl kaum für gesellschaftspolitisch relevant gehalten wird. Die Frage “Gibt es grüne Hüte?” könnte hingegen unter Umständen im Zusammenhang mit der Ermittlung des Informiertheitsgrades über die Verbreitung der Farbe Grün unter Kopfbedeckungen oder das Wesen von Farben und Färbung überhaupt gestellt werden. Wer “nein” sagt, bewegt sich entweder nicht in alpinen Gefilden oder hat eigentümliche Auffassungen über Hüte. Da er in beiden Fällen fürchten muß, als Trottel dazustehen, sagt er vermutlich sicherheitshalber “ja” und geht sich ein Hutbuch kaufen. Man will ja für alle Informationseventualitäten gewappnet sein. In jedem Fall sind Fragen über andere als offenkundig gesellschaftliche Sachverhalte wohl eher Sonderformen der Meinungsumfrage, und man könnte sich selbst befragen, ob man sie noch unter den Begriff einer Meinungsumfrage subsummieren will (ja, nein, weißnich, willnichtwissen).

Wozu all das Rumfragen übers Umfragen?
Heute im Standard eine Umfrage:

Wo ist Osama bin Laden?
US-Verteidigungsminister Donald Rumsf eld sagt: “Er ist entweder in Afghanistan, in einem anderen Land oder tot.” Was meinen Sie?
- in Afghanistan
- in einem anderen Land
- mausetot
- weiß nicht
- Osama wer?

Also grübeln wir: Welchen Sinn könnte es haben, die sich vermutlich mehrheitlich in Österreich befindenden Befragten darüber zu befragen, welche “Meinung” sie über den Aufenthaltsort von Osama bin Laden besitzen? Ist das eine Meinungsumfrage? Was ist das überhaupt für eine Frage?

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