Servicing stepmother
In Zürich zwischendurch für Frau Stiefmutter tätig gewesen. Sie suchte nach einem Pianisten, ihrem alten Klavierlehrer aus ungarischen Zeiten. Sie war 1956 nach Österreich gegangen, er etwas später über Österreich in die Schweiz.
Sie hatte mir zwei Seiten mit Telefonnummern gegeben, alles Einträge im Schweizer Telefonbuch mit seinem Nachnamen. Ich hasse es, Unbekannte anzurufen, ein neurotischer Schaden seit tumben Tätigkeitszeiten im Bereich des Telefonmarketing. Daher ging ich zuerst zu einem grossen Zürcher Musikhaus und frug mit sanfter Stimme, die dem für grosse Flügel nötigen Raumklima angemessen schien, ob man dort den Herrn namentlich kenne. Die befragte junge Frau wusste nichts, ihr hemdsärmelig-grummeliger älterer Kollege wusste auch nichts, fand für mich aber aus dem Online-Telefonverzeichnis Nummmern heraus, die ich bereits kannte und nicht so recht anwählen wollte.
Aber die Dame gab mir die Telefonnummer der mit dem Laden verbundenen Musikschule. Das brachte die Idee. Irgendwie schien mir ein Konservatorium passender. Konservatorium, das klingt nach Frau Stiefmutter und ihrer feinsinnigen, gleichzeitig auf Disziplin bedachten Herzlichkeit, es klingt nach Menschen, die sie kennen könnte. Niemand meldete sich beim Konservatorium, was mir recht war, denn so konnte ich ein E-Mail an den Direktor schreiben und die Telefonneurose ihre Beine ausstrecken.
Abends dann ein Anruf eines älteren ungarischen Herrn, der offenbar vom Direktor angesprochen worden war. Selbst kenne er den Gesuchten nicht, aber er gab mir die Nummer eines anderen älteren Herrn, auch aus Ungarn, ein Cellist. Der könne mir vielleicht weiterhelfen. Heute früh dann auch eine E-Mail vom Konservatoriumsdirektor, er könne mir auch nicht direkt weiterhelfen, leider, aber die folgenden Personen könnte ich anrufen, die wüssten vielleicht etwas.
Mittags kroch die Telefonneurose in den dunklen Raum unter Hacks Spüle und ich rief aufs Gradewohl die Gattin eines Trompeters an. So war sie vom Konservatoriumsdirektor beschrieben worden, Frau Soundso, Gattin des Trompeters Soundso. Ja, der Herr Diesunddas, der sei vor etwa zwei Jahren verstorben, Altersheim, Schlaganfall. Sie hätte ja auch bei ihm gelernt, früher. Ich weiss nicht recht, was ich noch fragen soll, denn ich weiss ja nur wenig über den alten Herrn. Nachfahren? Ja, ein Sohn, Cellist.
Frau Stiefmutter ist traurig, als ich ihr die Nachricht am Telefon mitteile. In zwei Stunden würde Ö1 übrigens ein Konzert senden, das seine Frau spiele, und sie würde gerade die Aufnahme vorbereiten. So ein Zufall, dass ich gerade jetzt anriefe. Schade, das, sehr schade, sehr traurig. Ja, der Sohn. Auf den hätte sie damals aufgepasst, noch in Budapest. Der Sohn war mit der Frau S., einer Halbjüdin. Die ging dann ihrer Wege, er auch, und beide heirateten andere, anderswo.
An Steinway hatte ich übrigens auch eine Mail geschrieben, zwischendurch, weil der Gesuchte in deren “Artist Roster” aufscheint. Wenn in drei Monaten eine Antwortmail kommt, werde ich wieder wehmütig werden nach Menschen, die ich nie gesehen habe.