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- 27 06 2002 - 13:39 - katatonik

Apropos

“Auch nicht unbekannt ist die Attitüde des Aufbegehrens: “Man wird doch wohl noch Juden kritisieren dürfen!”, wobei diese Phrase den Unterschied der Kritik an jemandem, der zufällig Jude ist, verwechselt mit der Kritik eines Menschen, weil er Jude ist oder durch mehr oder weniger versteckte Anspielung darauf, daß er Jude sei.”

Aus Jan Philipp Reemtsmas “Ein antisemitischer Affektsturm” (FAZ), ein ausführlicher und in vielerlei Hinsicht sehr lesenswerter Text über Martin Walsers Roman “Tod eines Kritikers”.
Herr Hack greift diesen Text im Zusammenhang mit dem Motiv der Affektliteratur auf, des unkontrollierten und unkontrollierbaren Schreibens. Reemtsma führt den rauschhaften Charakter zumindest einiger Passagen des Textes gegen den Autor ins Treffen; Walser selbst hatte sich mit ebendieser Unkontrollierbarkeit des Schreibens vor einigen Tagen verteidigt.


Reemtsmas Text ist einer der wenigen, die in dieser Debatte veröffentlicht wurden, die tatsächlich differenziert auf die ästhetische Qualität (oder vielmehr deren Abwesenheit) des Walserschen Textes eingehen und daraus zu einem nachvollziehbaren Schluss kommen. Das meiste andere Zeug aus FAZ und SZ mutet an, als wäre es auf die schmuddeligen Rückseiten gegenseitig unbeglichen gebliebener Rechnungen gekritzelt worden.

gHack (Jun 27, 02:15 pm) #


Ja, diesen Ansatz fand ich auch sehr interessant. Der Mechanismus, erstens darauf hinzuweisen, dass Literatur eben Literatur sei und daher literarische Werke nicht wie Tatsachenberichte zu lesen seien, und zweitens den Tag damit gut sein zu lassen und zu glauben, mit dem Verweis auf die Geschlossenheit der literarischen Welt und ihren ästhetischen Charakter hätte man schon dafür gesorgt, dass Vorwürfe ans Werk nunmehr ins Leere gehen würden - kurz und gut, dieser Walser-Verteidigungsmechanismus hat ja doch schon sehr genervt.
Man könnte diesen Text jetzt zum Anlaß nehmen, sich mehr Gedanken über möglicherweise unterschiedliche Ästhetikkonzepte zu machen, die in der Debatte zum Tragen kommen - Ästhetik als Stil, als bloß formale Eigenschaft von literarischen Texten innerhalb ihrer geschlossenen Textwelten, Ästhetik als umfassenderes Programm, ... ich bin ja so gar keine Ästhetikerin, aber vielleicht fällt wem dazu was Kluges ein?

katatonik (Jun 27, 02:27 pm) #


Ich bin nicht gerade Bazon Brock, aber Reemtsma zeichnet gerade durch die Argumentation "form follows function" ein recht sensibles Psychogramm des Autors. Ich bin ja, wie bereits mehrmals gesagt, ein Anti-Roland-Barthes. Dieses besoffene Vorpreschen, auf das dann die bauernschlauen Distanzierungen und halbherzigen Schwanzrückzieher folgen nachvollziehen zu müssen, ist genau das, was die Lektüre dieses Machwerks so unerspriesslich macht. Ausserdem schlägt Reemtsma Walser mit dessen eigenen Waffen: Er weist anhand ästhetischer und literaturwissenschaftlicher Kriterien nach, warum der Text als Text schlecht ist und wo er wie Rückschlüsse auf die mentale Verfassung seines Autors erlaubt.

gHack (Jun 27, 02:36 pm) #

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