Das Ich nach der Trennung ist ein diffundierendes
Nein, keine Sorge. Ich fang da jetzt nicht an, äußerst Privates zum Besten zu geben. Abgesehen davon, dass du das hier sowieso nicht liest, und dass ausserdem von denen, die das hier lesen, allerhöchstens zwei wissen, wen ich mit “du” meine, und für deren Diskretion verbürge ich mich persönlich. Ausserdem sitzt die eine davon gerade in London und hat anderes zu tun, als mein Weblog zu lesen, und der andere läuft durch Japan und liest das jetzt gerade auch nicht. Also keine Sorge, da wirds nicht indiskret.
Ja, ich weiss. Ich hab immer noch Bücher von dir und auch eine CD. Da liegt jetzt ein Stapel in meinem Schlafzimmer am Boden. Wartet nur noch auf Verpackung und postalische Vergebührung. Wird schon werden. Keine Sorge. Du hast ja auch noch Bücher und CDs von mir. Aber da du das hier nicht liest, hat es ja keinen Sinn, hier nun eine Bitte um Rücksendung zu formulieren.
Zwei Monate fast liegt der Stapel jetzt schon da, am wunderbaren neuen Buchenboden. Hat sogar einen Umzug mitgemacht, der Stapel. Ja, umgezogen bin ich mittlerweile auch, was alles sehr eigenartig und überwältigend war: Verlust der Hauptbezugsperson, Änderung der Wohnungsverhältnisse. Da fühlt man sich gleich wie ein anderer Mensch, der man natürlich nicht ist. Aber das entdeckt man schon früh genug, keine Sorge.
Nein, also eigentlich bin ich der Ansicht, dass das ja zum Besseren war, wie man so schön sagt. Hat nicht mehr gepaßt. Hat sich überlebt. Hat sich in eine Sackgasse manövriert. Erwartet hätte ich das aber alles nicht, ehrlich gesagt: dass aus etwas, was nur ein kleiner alltäglicher Zwist unter Freunden zu sein scheint, plötzlich der Austausch von E-mails voll von Bitterkeit, Enttäuschung und Hass wird, der – ohne auch nur ein einziges weiteres reales Zusammentreffen – zum Abbruch jeglichen Kontaktes führt, zum plötzlichen und absoluten Aus. Nein, ich zitiere nicht, nein, ich versuche nicht, dir den Schwarzen Peter zuzuschreiben, obwohl ich sehr versucht bin, das zu tun und tatsächlich der Meinung bin, dass … ach, wozu.
Nein, natürlich betrachte ich das alles retrospektiv als völliges Missverständnis. Natürlich halte ich es retrospektiv für vollkommen vertrottelt, durch E-Mails Streitigkeiten auszutragen. Streitigkeiten brauchen Affekt, Streitigkeiten sind affektgeladen. Gießt sich Affekt in E-Mails, versteckt er sich dort heimtückisch hinter unverrückbar fest wirkenden Schriftzeichen – da wird aus flüchtig hingeworfenen Beleidigungen Haß in Granit, da werden aus zerbrochenen Untertassen bombardierte Städte. Ganz schlechte Idee, Streiten in E-Mails. Wirklich. Weiß ich jetzt, würd ich nie wieder mitmachen.
Nein, natürlich betrachte ich das Aus gleichzeitig als eine gute Sache. Auch Zerwürfnisse, die aus Mißverständnissen entstehen, sind gelegentlich ganz einfach wahr. Man kann sich aus den falschen Gründen trennen und dann plötzlich entdecken, aus welchen Gründen man sich hätte trennen sollen. Bescheuert, dass der Ausdruck “Trennung” für Zweierbeziehungen der geschlechtlichen Spielart reserviert ist. Nicht einmal das: Von jedem noch so flapsigen Zwischendurchflirt kann man sich “trennen”, aber wer bei Freundschaften von Trennung spricht, wird gleich schief angesehen. So ist das mit der dominierenden Ideologie der romantischen Paarbeziehung, deren Verblendungseffekt die unterdrückten Massen … würde dir sicher gefallen, das weiter auszubauen.
Nein, ich spreche nicht viel darüber. Manchmal in Phasen der Müdigkeit spreche ich imaginär mit dir, versuche zu erklären, was ich eigentlich mit diesem oder jenem gemeint habe. Manchmal träume ich von dir. Da treffen wir uns plötzlich und eine Zeitlang tun wir beide, als wären diese ganzen häßlichen Dinge nie gesagt worden. Dann meint eine von uns (wahlweise), so ginge das wohl nicht, wir könnten doch jetzt nicht einfach so tun, als wäre nichts gewesen. Dann wird gesprochen. Aber was, daran kann ich mich nie erinnern. Angenehm ist es nicht, unangenehm auch nicht. Wie alles, was mit dieser Trennung zusammenhängt, ein einziger Ambivalenzenkloß ist, mit Nutzen hier und Schaden dort, und zehnt ausend “einerseits-andererseits”, an deren Ende, und das überrascht mich selbst, aber immer Erleichterungs- und Befreiungsgefühle stehen.
Vergessen und verzeihen, darüber denke ich nun häufig nach in Zeiten der Muße. Nein, zum Nachdenken reicht es eigentlich nicht, bloss zum nagenden Fragestellen. Frage mich, ob ich dir verzeihen könnte für die häßlichen Worte, die trafen, nicht, weil sie tatsächliche wunde Punkte berührten (ich fand ja, sie waren voll daneben), sondern weil sie mit so viel Gift und Galle gegen mich gerichtet waren. Frage mich, ob du mir überhaupt verzeihen konntest oder könntest für frühere Schandtaten. Dafür, dass ich früher eine war, die dich nur schlecht behandeln konnte und du eine warst, die von mir nur schlecht behandelt werden konnte. Frage mich, ob du jemals verstanden hast, was ich dir im Gegenzug vorgeworfen habe. Dass ich dir überhaupt im Gegenzug auch Vorwürfe gemacht habe. Dass da tatsächlich auf deiner Seite auch etwas war, und zwar mehr als bloss ein Sich-Nicht-Wehren gegen meine Arroganz.
Frage mich, ob man jemandem wirklich bis ans Lebensende vorwerfen soll, wer er mal gewesen ist, auch wenn er immer noch gelegentlich in alte Gewohnheiten verfällt. Oder ob man sich auch dann, wenn man nicht gerade stolz auf sich ist, sich bis ans Lebensende vorwerfen lassen muß, wer man mal gewesen ist, oder dass man immer noch gelegentlich … Dann kommen mir bald gute Ratschläge an dich in den Sinn, und damit höre ich dann auf, weil es ja keinen Sinn hat, Ratschläge an jemanden zu erteilen, der nicht mehr existiert, und weil das mit den Ratschlägen ja sowieso einer der Punkte war, der zu diesen kuriosen Missverständnissen führte. Deswegen Ende. Klar, manchmal natürlich ein “wenn sie jetzt da wäre …”, vor allem bei gelungenen Scherzen, oder bei halb gelungenen. Sie würde daraus den Knüller des Abends machen. Wir würden uns die Zwerchfelle halten, bis uns die geschüttelten Martinis aus den Ohren rutschen. Duo Infernal, hat der Rudi unlängst gemeint, das kann ja nicht dauern, dass ihr euch nicht mehr seht. Aber ich glaube, da irrt er sich.
Eigenartig, dass ich dir so gar nicht über den Weg laufe in dieser kleinen Stadt. Aber das ist vermutlich auch gut so. Ganz sicher sogar. Manchmal, wenn ich durch deine Wohngegend fahre, frage ich mich, was wäre, wenn sie jetzt … mir fällt dazu keine Antwort ein. Du warst immer stolz darauf, Leute so ignorieren zu können, dass sie nicht einmal bemerken, bewusst ignoriert zu werden. Ich dachte nie, dass eines Tages ich für dich jemand werden würde, den du vermutlich nur noch ignorieren würdest.
Nein, es gibt eigentlich keinen besonderen Grund, aus dem ich das jetzt hierher schreibe. Ich möchte damit nichts anregen, keine Reaktionen provozieren, keine Kommentare evozieren. Ich würde nach wie vor schreiben, dass ich dich liebe. Dass ich verdammt viel von dir gelernt habe, obwohl dir das kaum aufgefallen zu sein scheint (war wahrscheinlich auch meine Schuld, hätte ich öfter drauf hinweisen sollen). Würde ich immer wieder und wieder sagen, das. Klar. Daran rüttelt nichts, nicht einmal du. Trotzdem sollten wir uns wohl besser aus dem Weg gehen. Du bist glücklicher ohne mich, und ich ohne dich. Wie gesagt, der Stapel wird demnächst verschickt.