Intervallbegegnungen
Aquajogging hat etwas grundlegend Idiotisches. Du bewegst dich durch Wasser in einer Weise, die diesem Medium gänzlich unangemessen ist, die dessen Widerstandskraft absichtlich produziert. Ineffizienz ist Prinzip. Du gleitest bestenfalls punktuell, bestenfalls mit kleinen Ausläufern deines Körpers, bestenfalls bei einigen der Bewegungen, die zwar nicht unbedingt langsam sind, aber dich in Summe sehr, sehr langsam nach vorne bringen. Drei bis vier Minuten für 50 Meter. Diese Langsamkeit ist allerdings auch nicht ganz uncharmant. Du hast ja den Kopf über Wasser und siehst, was sich so abspielt, um das Becken herum, und auch im Becken drin. Es kommt zu durch längere Intervalle unterbrochenen, zumeist flüchtigen Begegnungen mit anderen im Becken, die auch keine Bahnen schwimmen, und denen du bei ihrem Paddeln, Herumstehen, Plaudern, Pritscheln, Knutschen, Krähenfüttern zuschauen kannst.
Dort am anderen Beckenrand steigt ein muskulöser Volltätowierter mit gebleichter Stoppelglatze ins Wasser. Er hält sich mit den Armen am Beckenrand fest, legt sich aufs Wasser, Gesicht nach unten, mit den Beinen etwas paddelnd, den Kopf immer wieder nach links zur Atmung hebend. Er übt Kraulatmung. Ich weiche ihm aus, so ein Manöver muss eine, wenn sie den Leuten nicht zu nahe kommen möchte, schon recht früh einleiten, denn rasch beweglich und manövrierfähig bist du beim Aquajoggen halt nicht. Gute acht Minuten später komme ich wieder in die Gegend, also an diesen Beckenrand, da ist der Volltätowierte am Längsrand des Beckens. Von dort stößt er sich ab, eintauchend. Das macht er immer wieder. Zwischendurch hängt er am Rand herum, einige Minuten, und hält Umsicht.
Eine sehr schlanke Frau steht mit zwei Kindern im Wasser. Sie macht dieselben Armbewegungen wie ich beim Aquajoggen, die gebeugten Arme rasch gerade nach vor stoßen und zurückziehen. Dabei bleibt sie jedoch stehen; eine Art Oberkörpertraining, das mindestens so idiotisch ausschaut wie mein Aquajoggen. Mindestens. Als ich da so auf sie zujogge, könnte das eine Situation der Freundlichkeit werden, des Slapsticks gar, aber sie ist damit beschäftigt, ihren Sohn anzubrüllen, der ihr zwischen den Beinen durchtauchen möchte; sie mag das nicht und schreit ihn an, er solle gefälligst woanders tauchen. So weit kann ich gar nicht an ihnen vorbeimanövrieren, dass mir diese Szene nicht unangenehm ist. Ein am Beckenrand stehender junger Mann mit langen Haaren und ich tauschen Blicke darüber aus, leicht irritiert. Ich weiche der Gefahr, eine Meinung über eine gestresste Mutter zu bilden, ebenso langsam aus wie mein Körper der pritschelnden Mutterkindergruppe.
Weitere acht Minuten später plaudert sie mit dem Bademeister — der übrigens den ganzen November über Urlaub macht — und erzählt von den Sommerreisen, die sie gemacht haben, Thailand, Ko Samui halt, ja, dann noch Dubai, geflogen, klar. Noch acht Minuten und die Tochter, geschätzte zehn, krault mit unfassbarer Eleganz und Geschwindigkeit für dieses Alter an mir vorbei, aber hallo.
Was die Kinder heute für Möglichkeiten haben, sagt die Mutter zum Bademeister, das hätten wir uns damals gar nicht. Acht Minuten später und die Mutter erzählt dem Bademeister, sie würde die Kids, die zu dem Zeitpunkt schon abgetrocknet am Beckenrand liegen, nach Amerika schicken nächstes Jahr, auf Schüleraustausch. Sie selbst wäre auch damals, und es hätte ihr nicht geschadet, also bitte.
Die Tochter unbegeistert, sie würde lieber nach Australien, nein, sagt die Mutter, da gehst nicht hin, Amerika muss es sein. Weitere acht Minuten schwimmt die Tochter etwas knapp bei mir vorbei, sie entschuldigt sich unverzüglich, mein “kein Problem, nix passiert” ist extraüberfreundlich, als würde ich sie für ihre Australienenttäuschung trösten wollen. Ich sehe sie später noch einmal, an Land mit ihrem kleinen Bruder, und lächle ihr zu, sie lächelt zurück.