Wie man interaktiv keine Million gewinnt
Man kann jetzt live gegen die Kandidaten spielen, wahrscheinlich schon länger, aber ich habe es jetzt, am Rotweinfreitagabend, zum ersten Mal probiert.
Man registriert sich, mit E-Mail-Adresse und Passwort, logt sich ein, und dann beginnt das Flashspiel. Der Bildschirm sieht so aus wie im TV, wo parallel dazu einige Meter hinter Laptop und vor Sofa das echte Quiz läuft. Blaue Platzhalterfenster, für Fragen und Antwortmöglichkeiten, dahinter die leere Studiomöblierung.
Dass es losgeht, bemerkt man am Erscheinen der Zeile “Warten auf die nächste Frage …” dort, wo die Frage stehen wird. Bald kommt die Frage. Dann kommen die Antworten. Frage und Antworten erscheinen, bevor sie im TV erscheinen. Dadurch entsteht ein eigenartiger Effekt: Noch während G.J. mit Kandidaten plaudert, beantwortet man schon deren erste Frage.
Man spielt gegen die Kandidaten. Das bedeutet, dass es ein Zeitlimit bei der Beantwortung der Fragen gibt: so lange, wie der Kandidat (m/w) braucht. Das weiss man aber nicht. Deswegen weiss man nicht, wie lange man Zeit hat und fühlt sich gestresst. Es gibt Zeitbonuspunkte, wenn man schneller ist als der Kandidat.
Joker verliert man, wenn sie der Kandidat verliert. Während der Telefonjoker noch angerufen wird, öffnet sich im Quizfenster am Bildschirm schon ein kleines Unterfenster, in dem die zusammengefasste Antwort steht: “Sorry. Weiss ich nicht” oder “B. Bin aber nicht sicher”. Auch bei den anderen Jokern sieht man die Resultate früher am Computer. Plötzlich erscheint die rosa Säule des Publikumsjokers, plötzlich fehlen da ein paar Möglichkeiten (obwohl man natürlich selber die richtige Antwort eh schon längst gegeben hat, eh klar).
Wenn der Kandidat rausfliegt, weiss der Parallel-Computermitspieler das auch schon im vorhinein: Die Platzhalterfenster für die nächste Runde der Kandidateneinwahl erscheinen am Bildschirm.
Werbepausen gibt es, ja. Sie beginnen und enden am Computer früher als im TV.
Der Computermitspieler fliegt nicht raus, wenn eine Antwort falsch ist. Er sammelt Punkte durch richtige Antworten und Geschwindigkeit (letztere immer im Vergleich zum Fernsehkandidaten). Er bekommt kein Geld und keinen feuchten Händedruck. Er kann Rotwein trinken. Er bleibt ungeschminkt. Er muss auf müde Scherze nicht reagieren und kann fluchen. Er weiss immer alles besser, und das immer alles ein bisserl früher.
Das ist das Merkwürdige: Die Computer-Internet-Begleitung des Spieles nimmt der TV-Show den suggerierten Live-Charakter, von dem man natürlich weiss, dass er nur suggeriert ist, auf den man aber trotzdem immer wieder reinfällt, so nebenbei fernsehend.
Wenn man am Computer mitspielt, kann man auf die Live-Suggestion nicht mehr reinfallen, versucht es aber (kognitive Dissonanz) doch immer wieder: Ich produziere Unheimlichkeitsgefühle, Vermutungen, dass das Programm Fehlfunktionen hat, Verdächtigungen, dass ich da etwas nicht richtig wahrnehme – nur, damit mir das Fernsehen glaubwürdig machen kann, dass das von ihm Gezeigte mit mir gleichzeitig stattfindet.