Punkt, Strich
Die Unterschätzung, Missachtung des Beistrichs und seiner helfenden Binde- und Verbindungswörter zuungunsten des nachgestellten Satztorsos.
Vergleiche:
“Die Dinge haben Geduld. Sie sind wie diese Bakterien, die im Eis eingeschlossen, Ewigkeiten überleben. Die auf warmes Wetter warten können, während Menschen schon verrückt werden, wenn sie im Supermarkt in eine Schlange geraten.”
Mit:
“Die Dinge haben Geduld. Sie sind wie diese Bakterien, die, im Eis eingeschlossen, Ewigkeiten überleben, die auf warmes Wetter warten können, während Menschen schon verrückt werden, wenn sie im Supermarkt in eine Schlange geraten.”
Schreiben nach Art des ersten Beispiels scheint mir schon so ubiquitär, dass es wahrscheinlich gar nicht mehr auffällt. Mir fällt es sehr hoft auf, weil ich an einer neurotischen Fixierung auf Satztorsi leide. Was heisst Fixierung: Ich hasse sie. Fast immer.
[Nicht auf halber Strecke stehenbleiben. Der Gedankenstrich ist doch der eigentliche Freund des nachgestellten Gedankens:
“Die Dinge haben Geduld. Sie sind wie diese Bakterien, die, im Eis eingeschlossen, Ewigkeiten überleben – die auf warmes Wetter warten können, während Menschen schon verrückt werden, wenn sie im Supermarkt in eine Schlange geraten.”
]
Ich halte hier den Gebrauch des Semikolons für geradezu zwingend. Das Komma macht den Satz missverständlich, der Gedankenstrich dagegen zeugt hier, wie so oft, von einer beklagenswerten Indifferenz gegenüber den drängenden Fragen der Syntax und damit des Lebens schlechthin. Meine Meinung.
“In Zukunft soll es noch mehr als bisher in das Ermessen des/der Schreibenden gestellt werden, ob er/sie ein Semikolon (weniger als ein Punkt, mehr als ein Komma) verwendet.” (Bertelsmann, die neue deutsche Rechtschreibung, 1996.)
Insofern die allgemein Angabe der Überlebensfähigkeit der Bakterien Spannung hervorruft, die durch die konkrete Wendung hin zur Fähigkeit der Warmwettererwartung (inklusive Kontrast des Ganzen mit menschlicher Verrücktheit) eine überraschende ebensolche erfährt, scheint mir der Gedankenstrich die drängenden Fragen von Syntax und Leben hier in der Tat kondensiert zu destillieren. (Im Übrigen spräche der Skopus des Kontrastes des nachgesetzten “während”-Satzes, der ja beide vorangehende Relativsätze umfasst, freilich gegen das Semikolon und gestünde auch dem Beistrich noch einiges an berückender Syntax- & Lebensfähigkeit zu.)
Ernstgemeinte Neugier: benützen Sie den Ausdruck “Beistrich” eigentlich auch im Alltagsgebrauch oder nur aus syntaxhistorischer Würdigung? (Ich dachte, das stünde für Semikolon)
Ich kannte das Wort nur vom Hörensagen, es kam mir so exotisch vor. Es hat mich nur interessiert, ob das noch benutzt wird.