Das Ich in der Geschlechterrolle ist ein verärgertes und möchtendes
Kaum widme ich mich mal dem Spaziergang im Freien zwecks Erörterung planetenbewegender Fragen – Dreht sich die Sonne eigentlich um die eigene Achse? (Antwort: ja) Bewegen sich die Planeten unseres Sonnensystems eigentlich alle auf einer Ebene um die Sonne? (Antwort scheinbar ja) -, also, kaum bin ich weg, hocken sie alle bei Henso rum und plaudern über Sachen, die mich brennend interessieren und zu denen ich auch gern was gesagt oder gefragt hätte. Man kennt das Gefühl: Da wird einem hinterher erzählt, irgendwo hätten sie über dies und jenes geredet, man war nicht dabei, und man ärgert sich. Gelegenheit verpaßt.
Nun ja, im Internet muß man das ja nicht so handhaben, weil sich da aus jeder scheinbar verpaßten Sprachbeitragsgelegenheit leicht eine Gelegenheit neuer Sprachbeitragsgenerierung machen läßt, die unter Umständen wieder zu einer (diesmal von anderen) verpaßten Sprachbeitragsgelegenheit wird. Also. Ich. Anfang Sprachbeitrag, der natürlich (weil schon wieder um drei Ecken gedacht) ganz anders aussieht als das, was ich mir da gestern gedacht haben hätte können.
Schon vor etwas längerer Zeit schrieb der Dekan einer englischen Universität im “Guardian” einen Artikel über Geschlechterdifferenzen bei Prüfungen. Man habe beobachtet, dass Mädels besser abschneiden bei Heimaufgaben, also über einen gewissen Zeitraum fertigzustellenden Arbeiten, während Buben bei zu schreibenden Prüfungen, also bei punktuellen Tests, besser abschneiden. Welche Konsequenz wird daraus gezogen? Der Dekan schlug vor, diese Geschlechterdifferenzen in Hinkunft in die Leistungsbewertung miteinzubeziehen. Man solle eben Mädels weniger Tests machen lassen und Buben weniger Arbeiten schreiben.
Unlängst las ich, dass irgendwo in einem Wiener Park jetzt ein eigener Raum für Mädels eingerichtet und abgegrenzt wird, mit einer Bühne, auf der sie rumhüpfen können oder was immer sie mögen. Wenn man das nämlich nicht tut, so die Planentwickler, so würden sich die Buben dauernd in den Vordergrund drängen und die Mädels verdrängen. Also muß es getrennte Räume geben.
Vor einigen Monaten bestellte ich telefonisch eine Schlafwagenfahrkarte. Im Schlafwagen (Dreierabteil) befanden sich noch zwei andere Frauen, bei Hin- und Rückfahrt. Wie zufällig blickte ich auf meine Reservierung: “Damenabteil” stand da drauf. Obwohl ich gar kein Damenabteil bestellt hatte. Früher war das nicht so, da mußte man den Wunsch nach Geschlechtersegregation noch extra anmelden. Heute ist das anscheinend Standard.
Mir macht das alles Angst und Ärger. Ich mag es nicht, wenn ich irgendwo in eine Männerrunde in einem Lokal komme und plötzlich sind alle still, weil da ein Fremdelement namens Frau auftaucht. Ich mag es nicht, wenn einer, der sonst immer zotige Witze erzählt, sie sich verkneift, wenn ich dabei bin. Weil ich eine Frau bin. Ich mag auch nicht immer extra betonen müssen, dass ich nix gegen zotige Witze habe oder sie gar sehr schätze. Obwohl ich eine Frau bin. Ich mags nicht einmal, wenn die Kerle in der Kraftkammer aufhören, über Pornovideos zu reden, wenn ich eintrete. Feiglinge, denke ich mir dann. Schauen sich Videos an, in denen mit Frauenkörpern weiß Gott noch was getrieben wird, und wenn ihnen dann eine Realfrau entgegentritt, geht ihnen der Schmäh aus. Ich mags auch nicht, wenn es im Fitnesscenter zwei getrennte Gerätebereiche gibt, einen für Männlein und einen für Weiblein. Als wäre das Nebeneinanderschwitzen von vornherein eine Problemsituation, die es zu vermeiden gilt. Ich mags auch nicht, wenn die Aerobictrainerin extra Bemerkungen macht, wenn da zehn Teilnehmerinnen und ein Teilnehmer vor ihr stehen. Ich mag auch nicht, wenn Männer von Aerobictrainerinnen extra gelobt werden, weil sie sich da reintrauen oder bei den diversen Schrittkombinationen gar nicht so dumm anstellen. Wozu der Scheiß?
Ich mag die Annahme nicht, dass Frauen und Männer am besten in so vielen Bereichen wie möglich voneinander getrennt sein sollen. Ich möchte, dass man beiden beibringt, dass sie sich zwar nicht in jeder, aber i n vielerlei Hinsicht in einer Gesellschaft aufhalten. Ich möchte, dass Mädels das Testschreiben und Buben das Hausarbeitenschreiben lernen. Dass die einen angeblich das eine nicht so gut können und die anderen das andere nicht, kann ja wohl nicht an den Genen liegen, sondern ist Resultat eines Bildungssystems, das man dann wohl auch ändern könnte. Ich möchte, dass Mädels lernen, sich in Parks zu behaupten und dass Buben lernen, nicht immer allen Raum für sich zu beanspruchen. Ich möchte, dass nicht jedes statistisch gesehen beim einen Geschlecht häufiger auftretende Benehmen oder Verhalten als diese Geschlecht definierend verstanden und dann auch noch, weils ja definierend ist, akklamiert wird. Ich möchte, dass manche Sachen Ausnahmen bleiben und nicht hinterrücks zur Regel deklariert werden.
Ich möchte Zivilisation und Aufklärungsangebote. Und ich möchte Zeitschriften, die dazu passen. Oder das zumindest versuchen. Und Politik, die dazu führt. Oder das zumindest versucht. Und ein Welthungerproblem, das verschwindet. Oder das … wie bitte? Ja, ich bin 65. Schon sehr alt und wohl nicht zeitgemäß. Nein, natürlich weiß ich nicht, wie das alles funktionieren soll. Aber man kann ja mal was andenken.
Oh, aber bitteschön, stets zu Diensten. [Mental note to the Cataleptic Recoding Department: When will http://.../#comments">you lazy people take care of the Netscape comment posting problem? Stop napping!]
katatonik (May 11, 01:12 pm) #
Danke dafür.
Das gibt mir Hoffnung, mit meinem Empfinden nicht ganz allein dazustehen.
Trurl (May 12, 12:56 am) #