Wunschsalbaderei, Nachschlag.
“Ich wünschte, du würdest mich küssen” mag zwar ein Beispiel für die Verwendung des Konjunktivs II aus Höflichkeitsgründen sein, die ja (belehr, belehr) sehr oft vorkommt, würde mich aber in endlose Gedankenschleifen versetzen, und das Herumgetanze in diesen würde mich doch glatt davon abhalten, auf das ausgedrückte Begehr des (oder der) Michküssenwollenden zu reagieren.
Ja, ich bekenne, ich bin eine von denen, die bei Ausdrücken tiefer Emotionalität mindestens eine Viertelstunde zur Reaktion brauchen – nicht deswegen, weil sie so tief nachempfinden, sondern deswegen, weil zunächst mal Grammatik und Semantik, Pragmatik und Metaphysik geprüft und ausgelegt werden müssen. Jeder bedeutungsschwangere Blick eines Charakters in einem Hollywood-Schinken erweckt Hoffnung in mir, Hoffnung, da Gleichgesinnte – oder gleich Geschädigte – auf der Leinwand zu sehen: Fragt sich die oder der da jetzt etwa gerade, ob denn hier die Verwendung des Konjunktivs wirklich angebracht war? Ob die ausgedrückte Emotion etwa von verwerflichen Essenzialismen oder nicht minder verwerflichen sprachmetaphysischen Annamen zeuge? Etwa auch ein Gedankenschleifer? Gibt es wirklich mehr von uns?
Gedankenschleifen: “Ich wünschte, du würdest mich küssen.” Ja was nu. Will er oder will er nich. Klingt so, als würde er das nur dann wünschen, wenn eine bestimmte Bedingung erfüllt wäre, aber deren Erfüllung in weiter Ferne liegt (”... wenn am Mars Diskokugeln entdeckt werden”). Scheint also nicht wirklich zu wollen. Oder er meint, unglaublich höflich sein zu müssen. Mag ich aber nicht, dieses Getue, dieses Wirsindsohöflichzufrauenweildiesofragilewesensind. Dieses Behandeln von Frauen als Kranken, von ihrer eigenen Emotionalität so umfangen, dass man sie als gänzlich ferne, exotische Wesen nur noch anschauen und beküssenwollen kann, aber Kommunikation, ne, iss nich. Wie der mich schon anschaut: Als würde er von mir jetzt einen Tobsuchtsanfall, Tränenausbruch oder sonstwas erwarten. Würd ihm jetzt gern ein Foto von mir in die Hand drücken und empfehlen, er könne (!) doch das küssen, da hätte er weniger Sorgen. Aber vielleicht macht er sich ja auch gerade Gedanken über den Konjunktiv. Dann könnte ich lächeln, verständnisvoll nicken, sagen “jaja, der Konjunktiv”, und dann wird endlich geküßt.
Warum aber nicht der einfache Imperativ: “küß mich!” Küssenwollern, deren Körpersprache von charmanter Nervosität bei gleichzeitigem Vertrauen in sich selbst (ja, das geht) zeugt, gesteht man gerne unverblümt direkte Ausdrucksweise zu, die bei anderen hart an die Grenze zur militärischen Order ginge und zur Gründung von Widerstandsbewegungen und deren schärfster Bewaffnung führen würde. (“Hach, mal wieder die Kalaschnikows aus den Achtziger Jahren entstauben. Müssen doch noch wo rumliegen.”) Souveräne Tolpatschigkeit, das hat was. Küssenwollern hingegen, bei denen die Überzeugung von ihrer eigenen Unwiderstehlichkeit aus jeder Pore schwitzt, gestehen wir gar nichts zu, weder Indikativ, noch Konjunktiv, noch Kuß. So sind wir, und behaupten dann auch noch frech, Sprache sei Spaß. Und ich würde ja überhaupt entweder den Imperativ verwenden oder Würde an Stelle von Wünschen setzen: “ich würd dich jetzt gerne küssen”. Woraufhin dann der oder die so ein komisches Gesicht macht – fragt sich sicher, was das jetzt mit dem Konjunktiv auf sich hat. Hach.
Zusatz: Neinnein, ganz so schlimm is das nicht. Ich bin keiner von denen, die auf Fragen wie “könnten Sie mir mal das Salz reichen?” antworten “ja, könnte ich schon”, dann nix tun und sich für unglaublich witzig halten. Ich bin vielmehr eine, die dann gar nix sagt, in Gedankenschleifen abdriftet und reflexhaft das Salz rüberreicht, während sie das bunte Paradies des Konjunktivs im Kopfe durchwandelt.
Ich hoffe, das hat jetzt nicht allzu weh getan.