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- 21 07 2001 - 20:54 - katatonik

Meinungsbildende Muße

Kaffee kochen, Musik anmachen, hinsetzen, lesen. Fettgedruckte Hervorhebungen von Ihrem Gastgeber (also mir).

In sämtlichen entwickelten Ländern sind Arbeitgeber und hohe internationale Amtsträger, medienpräsente Intellektuelle und Edeljournalisten übereingekommen, ein seltsames Newspeak zu gebrauchen, dessen – offensichtlich aus dem Nichts entstandenes – Vokabular in aller Munde ist: “Globalisierung” und “Flexibilität”; “Steuerung” und “employability”; “underclass” und “Ausschließung”; “neue Ökonomie” und “Nulltoleranz”; “Kommunitarismus”, “Multikulturalismus” und ihre postmodernen Vettern “Ethnizität”, “Minorität”, “Identität”, “Fragmentierung” usw.


Die Verbreitung dieses neuen globalen Begriffskanons (in dem die Begriffe “Kapitalismus”, “Klasse”, “Ausbeutung”, “Herrschaft” und “Ungleichheit” bemerkenswerterweise fehlen, die man verworfen hat, weil sie angeblich überholt oder ungehörig sind) verdankt sich einem Imperialismus symbolischer Art. Die Auswirkungen sind umso gravierender, als dieser Imperialismus nicht nur von den Anhängern der neoliberalen Revolution getragen wird, die unter dem Vorwand der “Globalisierung” die Welt umgestalten wollen und die sich deshalb endgültig von jenen sozialen und ökonomischen Errungenschaften verabschieden, die im Laufe von Hunderten von Jahren erkämpft wurden, nun aber als Hindernisse für die Entstehung der neuen Ordnung gelten. Der symbolische Imperialismus kann sich auch auf Kulturschaffende (Wissenschafter, Schriftsteller, Künstler) und Anhänger der Linken stützen, die sich in ihrer Mehrheit noch immer für fortschrittlich halten. Wie die qua Geschlecht oder ethnischer Zugehörigkeit ausgeübte Dominanz ist er eine symbolische Gewalt, die Unterwerfung erzwingt, indem sie eine Kommunikationsbeziehung aufnötigt. Die Besonderheit dieser Beziehung besteht darin, dass sie Partikularismen, die mit einer spezifischen historischen Erfahrung verbunden sind, für universal erklärt.

Wie im 19. Jahrhundert zahlreiche so genannte philosophische Fragen – darunter das Spenglersche Thema des “Niedergangs” -, die ihren Ursprung in den historischen Besonderheiten und Auseinandersetzungen in der Welt deutscher Akademiker hatten, in ganz Europa debattiert wurden, so haben sich heute unter scheinbar enthistorisierten Umständen überall auf der Welt einige Topoi durchgesetzt, in denen sich die Besonderheiten und Partikularismen der amerikanischen Gesellschaft und ihrer Universitäten ausdrücken.

Diese Gemeinplätze – im aristotelischen Sinne von Begriffen oder Thesen, mit denen man argumentiert, die selbst aber nicht mehr diskutiert werden – verdanken den Großteil ihrer Überzeugungskraft der Tatsache, dass ihr Ausgangspunkt zu neuem Ansehen gelangt ist; aber auch der weiteren Tatsache, dass sie omnipräsent sind, weil sie in raschem Fluss zwischen Berlin und Buenos Aires, London und Lissabon zirkulieren. Und überall werden sie von vorgeblich neutralen Instanzen übernommen, angefangen von den großen internationalen Organisationen wie der Weltbank oder der OECD über die konservativen “think tanks” bis hin zu den großen Medien, die diese lingua franca rastlos weiterverbreiten. Ihre Phrasen vermitteln den eiligen Leitartiklern und geschäftigen Spezialisten kulturellen Import-Exports die Illusion, an der Spitze der Modernisierung zu marschieren.

... Auf diese Weise werden die Gemeinplätze über den ganzen Planeten verbreitet und – im streng geographischen Sinne des Begriffs – globalisiert, gleichzeitig aber auch jeder Partikularität enthoben. Damit gelingt es ihnen, sich durch unablässige Bestätigung in den Medien in einen universellen common sense zu verwandeln und völlig vergessen zu machen, dass sie häufig nur die komplexe und durchaus umstrittene geschichtliche Verfassung einer bestimmten Gesellschaft zum Ausdruck bringen, die stillschweigend zum Modell und zum Maß aller Dinge erhoben wird: die amerikanische Gesellschaft der postfordistischen und postkeynesianischen Ära.
Die alleinige Supermacht, das symbolische Mekka der Erde, weist die folgenden typischen Merkmale auf: den bewussten Abbau des Sozialstaats und ein entsprechendes Anwachsen des strafenden Staates, die Ausschaltung der Gewerkschaftsbewegung und die Diktatur des allein auf den shareholder-value ausgerichteten Unternehmenskonzepts samt ihrer gesellschaftlichen Konsequenzen sowie die Zunahme der ungesicherten Arbeitsverhältnisse und der sozialen Unsicherheit.

[Hier beschloß ein böswilliger Import-Bot, der Text sei zu lange und amputierte ihn daher.]

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