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- 15 12 2024 - 07:50 - katatonik

Randbemerkungen

Sie kommt abends noch zu dieser einen Weihnachtsfeier. Nachmittags hatte sie einen Termin in der Schule. Der Sohn, suspendiert. Ein tastendes Gespräch darüber, da, am Rande des Tisches mit den Pierogi, dem Erdäpfelstrudel, den Rotweinflaschen. Am Ende steht die Geschichte eines zu Beginn der Pandemie 10jährigen, der die Lockdowns nicht verkraftete, währenddessen und danach irgendwie abdriftete, sich zurückzog, andere Abgedriftete kennenlernte, da draußen, jenseits von Familie und Schule, sich entfernte. Drogen, wie nun beim Schultermin klar wurde, auch wenn noch nicht klar ist, welche und in welchem Ausmaß. Ich erzähle ihr, der Mutter, von der anderen im Umkreis, deren Tochter, damals Anfang 20, in der Frühphase der Pandemie Alkoholikerin wurde. Der letzte Stand, den ich kenne, man sieht sich ja leider so selten, war ein gescheiterter Entzug, ein Rauswurf von zu Hause, weil es nicht mehr ging. Das möchte man nicht, sagt die Mutter des Sohnes ruhig.

Er fährt nicht mehr mit dem Rad, es ist ihm am Heimweg, da, mit den Straßenbahnschienen, zu gefährlich. Er hat jetzt so ein Elektromofa. Er stellt fest, dass er, dessen Hautfarbe etwas dunkel ist, recht oft für einen Essenszusteller gehalten wird. Das stört ihn.

Bei der Konferenz vor zwei Wochen die eine aus dem Nachbarland, von der ich wusste, sie hatte ein Mädchen aus Afrika adoptiert. Sie so herzlich jetzt, so ungemein konstruktiv in diesem professionellen Kontext, in dem wir jetzt zueinander stehen, in definierten Funktionen. Einmal, es ist länger her, saßen wir gemeinsam in Seminaren, knapp nach und knapp vor Abschluss der jeweiligen Doktorate, lasen dann später einander Namen im Zuge von Bewerbungen um die gleichen Professuren. Da gab es auch merkwürdige Episoden, so Kieselsteine in den Schuhen, so Dinge, bei denen du dir heute denkst, jo mei.

Da also, bei der Konferenz, tauchte immer wieder eine Dame auf, niemand schien sie zu kennen. Sie stammte aus dem gleichen afrikanischen Land wie die Adoptivtochter, sie sprach sehr gut deutsch und war elegant gekleidet, wirkte aber etwas verloren oder wurde etwas verloren gewirkt. Sie war bei einem der Abendessen, im Restaurant, verhielt sich auf eine Weise, wo du unsicher bist, ist das jemand, die du unbedingt kennenlernen musst, oder jemand, die Hilfe braucht, die du ihr nicht geben kannst.

Sie, die Nachbarländerin, sprach mit großer Aufmerksamkeit und Herzlichkeit mit ihr, der Afrikanerin. Sie sagte dann nachher nichts weiter zur Person. Ich fragte auch nicht nach; es war, wie es war, das hatte Selbstverständlichkeit an sich. Später dann, in einem Lokal mit jungen Studis und billigem Alkohol, wo sie zu uns alten Säcken so freundlich waren, oder wirkten, wie zueinander, da erzählte sie die Geschichte ihrer Adoptivtochter. Reisen nach Afrika. Bemühungen, die Herkunftsfamilie zu finden, Verbindungen herzustellen. Heranwachsen, Aggression, Kliniken, zerbrochene Ehe. Sie lächelt dabei, immer wieder.

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