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- 2 09 2023 - 18:09 - katatonik

Grillprotokoll

Ich habe nicht einmal von den Schuhen Fotos gemacht, von den mehr als 30 Paaren Größe 26 bis 46 – geschätzt, nein, natürlich kontrolliere ich die Schuhgröße meiner Gäste nicht. So viele Schuhe standen noch nie in diesem Flur, seit ich hier wohne, und das sind jetzt auch schon mehr als fünf Jahre. In den letzten davon Besucherschuhe überhaupt selten, die Pandemie, Sie wissen schon. Es sind fast alle da, und die, die nicht da sind, sind gesund, das muss man betonen, also covidmäßig jedenfalls, sonst, weisst ja eh nie, was’d hast. Wir hatten alle Glück, auch die, die letztes Jahr noch lange an hässlichen Symptomen litt und sich Monate lang immer alles aufschreiben musste vor Gesprächen, weil sie sonst alles vergessen hätte; es geht ihr besser. Viel. Und jetzt, weisst eh, Abwasser zeigt Infektionsanstieg, aber hier ist es luftig und offen, und wir reden nicht drüber.

Auch von dem beladenen Esstisch habe ich fast keine Fotos gemacht, mit dem fantastischen Schokokuchen von S., die schon damals in Deutschland, es ist ja eine völlig absurde Geschichte, dass ich damals nach Deutschland und M. und P. mit, und deren beiden Partnerinnen auch mit, und dann Kinder dort aufgewachsen und dort geboren, und dann ich wieder nach Wien und die alle auch, eine absurde Geschichte, nicht, diese Beweglichkeiten. Die Luftwurzeln der Orchidee neigten der Zitronentorte von P. zu, der Guaiwei -Salat von C. kam neben der Rosmarin-Focaccia von E. zu stehen, aber nur kurz, denn beide waren schnell weg.

Es war viel zu tun. Erst Türen öffnen, Leute willkommen heißen, Getränke anbieten, immer dazu sagen, dass sich die Leute dann gerne selber am Kühlschrank bedienen können, die machen das sonst nämlich nicht, diese Leute, sie würden das als unhöflich empfinden, solche sind das. Grillgut auf den Grill werfen, und irgendwann leicht den Überblick verloren haben, sich sorgen, ob die Koteletts nicht vielleicht doch schon verkokelt, während M. ein Glas Wein eingeschenkt kriegt und A. (6) die Frage beantwortet bekommt, wo das Klo ist. Aber natürlich übernimmt P. dann mit nur einem kleinen Kopfnicken das Türenöffnen und Gästereinlassen, und natürlich haben D. und M. schon längst den Grill übernommen, wortlos, einfach selbstverständlich, als würden sie das immer tun, obwohl das jetzt das erste Mal nach vier Jahren ist, dass bei mir gegrillt wird, und die beiden überhaupt das erste Mal da, waren sonst immer auf Urlaub. Zwischendurch mehr Grillgut nachlegen und dabei am Esstisch den Füllstand der Dip-Schüsserln registrieren und Erklärbrocken hinterlassen, damit auch jede*r versteht, dass das Jalapeño-Cilantro-Dip köstlich ist und aber eben auch scharf, eher nix für die Kids, aber da steht auch Ketchup, gell, du, und das Honig-Senf-Dip, kann ich nur empfehlen. So Profi wie S. bin ich nicht, die damals in Deutschland bei ihren famosen Vorweihnachtsparties nicht nur wochenlang süditalienische Spezereien gebacken hat, sondern auch Schildchen aus Post-Its und Zahnstochern gebastelt.

Gesprächsfetzen, zu mehr reicht es nicht in der ersten Hälfte des Abends, Daseinskoordinaten abgleichen mit noch unbekannten Partner*innen von Bekannten, andeutungsweise Kennenlernerei, Gesprächsbrocken im Vorübergehen. Die zwei ERC-Projektleiter*innen unterhalten sich über Absurditäten im Lauf des Beurteilungsverfahrens, jetzt können sie ja drüber lachen. C. und D. stecken tief in der altindischen Religionsgeschichte (noch ein Würstel?), fünf Minuten später tauschen der eine ERC-Typ und die hochbegabte und musikbegeisterte Teenagertochter von M. Konzerterinnerungen aus.

Als der Griller dann runtergefahren ist, die mit den ganz kleinen Kindern schon weg – N. (2) total begeistert vom Treppensteigen, dann aber halt auch schnell müde –, also da verlängern sich die Gespräche, und der shop-talk-Anteil sickert im unversiegelten Bodensubstrat der Gesprächskultur ein. F., den ich seit Auftritt Covid nicht gesehen habe, frischt meine Kenntnis seiner Jahre in Chengdu auf, J. erzählt viel von Australien, und wir machen keine Witze darüber, dass es ihn von Australia nach Austria verschlagen hat (wo er doch von ganz woanders her ist), mit der Art von Humor wird er hier noch genug zu tun haben. Die Musikfantochter, total von der CD-Sammlung im Regal begeistert, endlich jemand mit ihrem Musikgeschmack, und ihre Zunge überschlägt sich vor Begeisterung, Super-Nerdtum vom Feinsten, mit großer Leidenschaft und ernsthaftester Aufmerksamkeit für die noch so geringfügigen Veränderungen in der Musikproduktion abgöttisch geliebter Bands (The Smiths, The Cure, Talking Heads). Natürlich versteht sie niemand, und ich habe die Ehre, an diesem Abend die Erwachsene sein zu dürfen, die eine blitzgescheite Teenagerin versteht (ganz vergessen, dass das ein Ding ist); ich fixe sie mit Brian Eno an, und sie bietet mehrfach an, also wenn wir jemals die CD-Sammlung geordnet haben wollten, sie würde sofort, also wirklich, und wirklich gerne. Im Hintergrund läuft eine Playlist, die „party“ heisst, mit viel Dub, Jazz und zeitgenössischer Elektronik der gesprächspartyverträglichen Art, und als E. sich verabschiedet, bedankt sie sich ausdrücklich für Augustus Pablo, aber da schau her.

Allmählicher Übergang zu anderen Getränken als Erwachsenenlimonade, Wein oder Bier. H. hat sehr guten Sake mitgebracht, und Mitake-Shochu aus Süßkartoffeln. A. entdeckt den Gin, erst gibt es Gin Tonics, dann fabriziert sie Abenteuerlicheres in einem Pitcher mit Gin und Martini und Gurke und Pfeffer und viel Eis und verschwindet damit aufs Dach, später auch noch was mit Holundersirup, oha. Am Dach das letzte Grüppchen, die Gespräche müder nach Mitternacht; wir bestaunen den Mond, der aus den Wolken kommt und so groß, so strahlend.

Den Rhabarberkuchen, den hat sich am nächsten Tag der Nachbar geholt. Willst auch bissi Schweinebauch? Nein, danke, wir haben eh grad selber. Und erst am nächsten Tag finde ich das Packerl Kurut, und auch eine Tafel kirgisische Kurut-Schokolade mit kyrillischer Aufschrift, sehr apart, und ich frage mich, war die von C., dessen russische Freundin leider nicht kommen konnte, weil ihr vom Studentinnenjob bei der Fluglinie, wo sie immer diese bestimmten Schuhe tragen muß, die Füße so wehtun, oder von A., der ja auch aus Russland, aber am Umweg über Japan, nein, jemand mit solchen Umwegen bringt glaube ich nichts Kirgisisches mit.

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