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- 23 02 2025 - 19:49 - katatonik

Männergenerationen, am Land

Die Eltern hatten aus rein pragmatischen Gründen geheiratet. Der Vater hatte einen Wagnerbetrieb, den er dem jungen Mann aus dem Nachbardorf versprach, wenn er seine Tochter heiraten würde. So geschah es. Das Haus war klein, mitten im Dorf, nahe der Kirche, wo sich ein Bauernhof an den anderen drängte. Eine große Küche, später mit Schwarzweißfernseher oben an der Wand in der Ecke, ein Zimmer für die beiden Söhne rechts, das Elternschlafzimmer links, WC und Bad draußen im Flur, immerhin abgetrennt, vom Flur aus der Eingang in ein weiteres Zimmer, für ihre Mutter, die dort immer saß und dann später lag, krank, länger. Ein kleiner Stall mit drei Kühen und ein paar Schweinen, eine Scheune für Heu und Stroh, ein Werkstattgebäude, ein Holzschuppen für Brennholz, ein Keller, in dem der angeheiratete Wagner gerne ein Bier trank — so erzählte es B., die Enkelin, die später gern mit ihm in den Keller ging, denn für sie gab es immer eine Schartner Bombe.

Die beiden Söhne des Schartner-Bombe-Opas, nennen wir sie A. und M., absolvierten Handwerkslehren, in ziemlich weit entfernten Städten, aber im selben Bundesland. So wurden sie schon früh zu Wochenendpendlern, die damals, in den 1970er Jahren, gut vier Stunden für die rund 130 Kilometer brauchten, weil die öffentlichen Verkehrsmittel miserabel waren. Der Vater baute den Wagnerbetrieb geschickt aus und erweiterte ihn um die Zimmerei. Er baute Jägerzäune und erfand und baute eine eigene Maschine, mit der die Stämme für die Sprossen in Form geschnitten wurden. Diese Automatisierung brachte ihm viel an Arbeitsersparnis und wohl auch mehr Geld. Der Schwerpunkt des Betriebes verlagerte sich in Richtung Holz.

A., der jüngere der beiden Söhne, der eigentlich Mechaniker gelernt hatte, sattelte auf Tischler um. Möbeltischler; wenn er von Wien spricht, erzählt er immer wieder von Aufträgen, die er auch dort hatte, gut 150 Kilometer vom Dorf entfernt. Später, als ich nicht mehr dort wohnte, bauten A. und seine Frau ein neues, großes Haus, unweit des Elternhauses im Dorf, das ebenfalls umgebaut und erweitert wurde. Heute hat A. eine Photovoltaikanlage auf dem Dach. Er fährt mit einer “Elektroschüssel” und verdient im Sommer ein paar Tausend Euro mit der Einspeisung von Strom. Aber amortisieren würde sich das nicht, sagt der kritische Mann von der B., die A.s Nichte ist. A. lächelt – er lächelt so leise und verschmitzt wie sein Vater -, “a bisserl a Idealismus g’heat scho dazua”. Außerdem würde man für so viel Blödsinn Geld raushauen, da könnte man doch auch was für was G’scheit’s ausgeben. A. und sein Bruder M. lernten früh Autofahren und hatten dann auch bald Autos. Der Vater machte zeitgleich mit M. den Führerschein, da war er schon 40, Mitte der 1970er Jahre.

Erst dann wurde die Familie etwas mobiler. Reisen, das kannten sie vorher nicht und haben es sich auch nie so recht angewöhnt. Die Mutter arbeitete als Haushälterin bei meinem Vater, mehr als 20 Jahre lang. A. und M. haben beide in ihrer Jugend kleine Jobs für meine Eltern gemacht, Telefondienst, Rasen mähen und so weiter. Für mich ist die soziale und wirtschaftliche Hierarchie, die dieser Beziehung zugrunde liegt, unangenehm, trotz oder vielleicht gerade wegen all der Herzlichkeit, die ich von dieser Familie immer erfahren habe. Ich war oft bei ihnen zu Gast, übernachtete, wenn meine Eltern für einen Abend ausgingen, war dort manchmal auch für einige Wochen, wenn meine Eltern reisten. Es war anders dort.

Es gab abends grobe Wurst oder Speck und Brot und Ketchup, auf dünnen Resopal-Schneidbrettern, oder Stossuppe, eine einfache Suppe aus Wasser, Sauermilch, Mehl und Kümmel, mit Brotstücken und Kartoffeln drin. Wie man sich wusch, in einem Lavoir in der Küche, mit begrenzten Mengen warmen Wassers, die Füße und die sichtbaren Teile des Körpers. Der Vater hatte sein eigenes Fußbadewasser, das immer pechschwarz wurde, die Mutter und ich teilten das Fußbadewasser, sowas gab es bei uns zu Hause nicht. Wir hatten eine kleine Küche, ein abgetrenntes Wohnzimmer, da bot es sich schon räumlich nicht an, beim Fernsehen die Füße zu baden.

Die Feldarbeit, zu der sie mich oft mitnahmen, war für mich ein Abenteuer, das Sitzen auf dem Traktor, auf dem Kotflügel, das Festhalten an den metallenen Geländern, das Rütteln, wie die Haut an den Händen weich und warm wurde von den vibrierenden Geländern. Sie hätten mich ja einmal versehentlich vom (stehenden) Anhänger gestoßen, gestehen A. und M., sie hätten da eine größere Ladung Heu raufgeschaufelt, und ich kleiner G’steamel sei einfach hinten runtergefallen. Da hätten sie sich schon große Sorgen gemacht, ob mir was passiert sei (war es nicht). Daran erinnere ich mich nicht, wohl aber an den grünen Schnürlsamthut des Vaters, an seine billigen, starken Zigaretten der Marke “Hobby”, an denen ich als Kind den einen oder anderen Zug nehmen durfte, so wie ich den einen oder anderen Schluck Bier bekam. Heimlich natürlich. Er war ein ruhiger Mann, ein oft müder Mann, ein zarter Mann, der auffiel in einem Ort, in einer Zeit, wo die Männer so laut waren. Er trank nicht so viel. Das eine Bier im Keller.

A. und M., sie drücken heute Dankbarkeit aus, weil ihnen die kleinen Jobs für meine Eltern Dinge ermöglicht hätten, die sie sich sonst nicht hätten leisten können. Sie seien auch dankbar dafür, dass meine Mutter sie mitgenommen hat, wenn es ins weiter entfernte Hallenbad ging oder zum ebenfalls weiter entfernten Skilift, zu einem Tagesausflug. (Mir bleibt das trotzdem unangenehm.) A. und M. blieben beide im Ort, mit Frauen, die aus anderen Orten zu ihnen zogen. Es waren keine pragmatischen Ehen mehr. M. arbeitete als LKW- und Baggerfahrer für Firmen anderswo und war über lange Zeit Wochenendpendler (mit eigenem Auto). Kinder wurden geboren. So, wie es Fotos von A. und M. gibt, die sie als Teenager mit mir als Baby oder Kleinkind zeigen, so gibt es von mir Fotos, auf denen ich als Teenager B., die Tochter von M., als Baby halte.

Einer von A.s Söhnen hat den Tischlereibetrieb von A. übernommen. Andere der Kinder sind weggezogen. Es gibt viele Enkelkinder. Es gab Scheidungen bei A. und M. und neue Beziehungen mit dann quasi adoptierten Enkelkindern. B., die mit einem Mann aus dem Ort zusammenkam und mit ihm heute woanders lebt, erzählt von Flugreisen, Hamburg, Stockholm, auch Thailand. A. erzählt von Bergen und Seen im Salzburger Land. Er würde gern wohin fahren oder gehen, wo niemand ist, und sich dort einfach hinsetzen, eine halbe Stunde oder länger. Er würde da gerne auf den einen Berg gehen, da war er oft, aber jetzt mit dem vierjährigen Enkerl, naja, des geht grad ned so. Es ist vielleicht auch das Alter, dessentwegen es ned mehr so geht, aber darüber sprechen wir nicht.

Wir reden über Essen in asiatischen Ländern, Streetfood in Thailand, rohen Fisch in Japan, der Witz mit den Leberkässemmerln als österreichisches Sushi schwebt über dem lachenden Wirtshaustisch (A. und M.: Tafelspitz, B.s Mann: Beef Tartar, B. und ich: Lachsforelle). Das Höchste für das Enkerl, erzählt A. mit einem unglaublich zarten Lächeln und strahlenden Augen, sei es, mit ihm, dem Opa, frühstücken zu gehen. Um sechs Uhr morgens gingen sie dann durch das ganze Dorf zur Tankstelle am Ortseingang, die schon immer eine Art Gemischtwarenladen war, und dort wolle er, das Enkerl, zu seinem Semmerl eine einzige, eine dünne Scheibe Leberkäs.

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