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- 17 03 2025 - 20:37 - katatonik

Die kurzen Momente, in denen du schwebst

Im “Heimatsaal” im Volkskundemuseum, der nicht erst seit der neuen, einschlägig politisch verorteten steirischen Landesregierung so heißt (Graz hat eine kommunistische Bürgermeisterin), erzählt Suzanne Ciani im Gespräch mit Shilla Strelka von ihrer Musik und ihrer Laufbahn. Man kann das Gespräch auch nachhören. Es ist ein sehr angenehmes Gespräch; Ciani spricht ruhig, gewählt, überlegt.

Sie spricht viel von ihrem Instrument, dem Buchla, von dessen Veränderung seit den 1970er Jahren, von Don Buchla, den sie als Erfinder und Konstrukteur dieses modular electronic music instrument preist (er hätte das Wort “synthesizer” gehasst), auch wenn er sie persönlich als junge Frau erst einmal sofort rauswerfen wollte, als sie bei ihm zu arbeiten begann. Ein evil genius, sagt sie. Sie erzählt von Kalifornien in den 1970er Jahren als Umgebung für Musik, als politisierte Umgebung. Sie spricht von ihrem Zugang zu Musik, der im wesentlichen ein emotionaler wäre, von einer Reaktion auf eine damals empfundene Überkomplexität akademischen Komponierens. Reaktion, Konfrontation: auch ihre, als Frau, die komponieren will, auf Kompositionslehrer, die Frauen die Fähigkeit zur Komposition absprechen, weil sie nichts Langes komponieren könnten. Sie spricht demgegenüber von ihrer Faszination am microcosm of sound, davon, dass für sie eine Komposition einer Drittelsekunde (Telefonton) durchaus Anfang, Mitte und Ende haben könne.

Sie spricht von elektronischen Instrumenten, davon, wie sie erfordern, dass du Klänge analysierst, auseinandernimmst, zu etwas zusammensetzt. Für sie: eine Poesie. Auch: eine Sicherheit, die dir die Maschine, der Synthesizer gab, Langsamkeit zu können, das hätten Menschen eben einfach nicht gekonnt. Die Schwierigkeit, Geld für ihr erstes Album aufzutreiben (there were no albums from female composers), so kam sie dazu, Klänge für Werbespots zu produzieren. Der berühmte Coca-Cola-Ton bewusst unmelodisch, da sie einen Klang wollte, den die Firma nicht nur in einem besonderen Spot einsetzen konnte — von einem universell einsetzbaren Klang erhoffte sie sich schlicht höhrere Einkünfte, die Finanzierung ihres Albums, das dann letztlich in Japan erschien.

Der Umgang mit der Maschine, die regelgeleitet ist, in Form von Kenntnis erfordernden Anweisungen; das Interessante beginnt dort, wo Zufälligkeit entsteht. randomness. Die Unvorhersehbarkeit der Maschine, an der sie auch nach so vielen Jahrzehnten noch Neues entdecken, kennenlernen würde. Sie spricht von buchlaistic techniques, ähnlich, wie es pianistic oder violinistic techniques gäbe. Die Steuerung des Buchla über “voltages”. Sie hatte füher den 200er gespielt, ihre Rückkehr brachte sie zum 200 E, mit dem sie plötzlich Dinge nicht mehr tun konnte, die früher möglich waren. Mehrfach betont sie, technologische Entwicklung würde nicht alles zum Besseren wenden; es würden auch Möglichkeiten verlorgen gehen. Ausführungen über Klang, Musik und Raum, das Verhältnis zwischen dem Design eines elektronischen Instruments und seiner kreativen Verwendung. Das Design von Eurorack-Synthesizern (keine Lichter ursprünglich, also kein Feedback-Mechanismus; alles viel zu klein für Menschen mit größeren Händen). Sie steht auf die Animoog-App. Die Wichtigkeit der Performanz. Instrumente müssten unter dem Aspekt der performability gestaltet werden, denkt sie.

Der Grazer Schloßberg ist durchlöchert. “Schloßbergstollen” nennt man das. Ein erster kurzer Stollen wurde 1937 errichtet, motiviert durch den Wunsch nach Luftschutzbunkern. Das heute existierende Raum- und Tunnelsystem mit insgesamt 6.300 Metern Stollen und ursprünglich 20 Eingängen geht auf eine nationalsozialistische Großinitiative 1943 zurück (Wehrmacht, Häftlinge, Kriegsgefangene). Sprengungen, Grabungen, das Aushubmaterial in die Mur geschüttet. Fast zwei Wochen nach meinem Ausflug nach Graz treffe ich E., fast 90, der in Graz aufgewachsen ist und den Schloßberg fest aus Angstsituationen in Erinnerung hat, immer die Bomben im Ohr, wenn er später dazu kam, sich dem touristisch entwickelten Berg zu nähern.

Seit Kriegsende ein unüberblickbarer Diskussionsprozeß über die Nutzung des Berges, utopische Tiefgaragenprojekte der 1960er und 1970er Jahre, Architekturvisionen, Museumspläne, 1999 dann in wenigen Tagen Sprengungen von 6.000 Kubikmeter Gestein zur Errichtung der Veranstaltungshalle “Dom im Berg”. Auch aus den frühen 2000er Jahren stammt der Lift, der vom Schloßbergstollen zum Uhrturm führt. Es gibt ein (geschlossenes) Montan- und Werksbahnmuseum, es gibt eine Märchenbahn. Es gibt eine Rutsche, die als Metallschlauch gewunden durch den Schacht bergab führt, der auch den Aufzug beherbergt.

Ein Tunnel mit felsig belassenen Wänden führt von der etwas höher gelegenen Innenstadt durch den Berg zum Murufer (Murufer ist ein großartiges Wort). Man geht auf leicht abschüssigen Metallgittern, bei schummrig rosa Licht mit Geisterbahnfaktor. Abzweigungen führen zu vom Weg aus einsehbaren Nischenräumen (ursprünglich gewiß Luftschutzbunker) mit verglasten Eingängen, dort gerade Lichtartefakte sichtbar im Rahmen einer Festival-Ausstellung. Über den Märchenbahnstollen gelant man zum Schloßberglift (genau gesagt zwei Lifte nebeneinander). Suzanne Cianis Soundinstallation in der gläsernen Liftkabine ist ein kleines, pulsierendes Musikfragment, das die Fahrt durch den Berg begleitet, vorbei an den Rutschenschlingen. Sie hat dafür ein älteres Stück auf dem frühen Buchla gewählt, in dem das Instrument singt, das Instrument als Verwandter des Lifts, sie sind Teil derselben Familie; ein Stück für die kurzen Momente, in denen du schwebst.

Die Kombüse im Stadtpark: ein Rundpavillon, darin eine Bar mit kleiner Tanzfläche, in das eine Eck der Bar ein recht gemütlich wirkendes DJ-Eck, wo an diesem Tag zwei junge Männer tätig sind. Guter, gemütlich treibender Sound. Schummrigkeit, die meisten Gäste stehen vor der Tür und rauchen. Pommes frites werden zubereitet und serviert. Ein gemütlich treibender Wohlfühlort. Nachts durch den Stadtpark spaziert, erst da die Erinnerung: Es muß ziemlich genau vor vierzig Jahren gewesen sein, in familienentfernten Osterferien in Graz, Herumlungern im Stadtpark, so, wie zu jener Zeit in Wien im Burggarten herumgelungert wurde, mit Tagen ohne Ziel und Gesprächen ohne Zweck. Eine Form des Driftens, wenn auch nicht die, die ich am reizvollsten fand.

Später, vor Cianis Konzert gegen zehn, gehe ich den Weg durch den Tunnel noch einmal, komme hinter drei jungen Männern zu stehen, von denen einer die beiden anderen fotografiert, die etwas weiter entfernt im Tunnel Spaß haben. Er dirigiert sie, auf Englisch, fordert sie auf, sich zu küssen, das könnten sie ja so schön. Da bemerkt mich einer der beiden hinter dem Fotografen stehen und bedeutet ihm, mich vorbeizulassen. Ich winke ab, “no, don’t mind me, I find this very entertaining”. Daraufhin wollen sie ein Foto mit mir, der eine kniet sich theatralisch vor mich hin und überreicht mir eine Plastikblume, ich meinerseits halte theatralisch meine Hand ans Herz, Foto. Wir haben Spaß. Die Plastikblume darf ich behalten, sie wird später in der Hektik der Garderobenhandhabung diskret aus meiner Jackentasche verschwinden.


Bislang kannte ich nur die Theorbe … spannend

amberlight (Mar 21, 07:54 am) #


Gedanklich falsch abgebogen: Theremin meinte ich natürlich ….

amberlight (Mar 21, 07:58 am) #

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