Verhalten im Sound
Zwei Konzerte diese Woche, beide auf ihre je eigene Weise verhalten, raumbedingt, eventuell auch publikumsbedingt. Donnerstags die Organistin Kali Malone im Dom von St. Pölten, als Teil des nicht ganz unumstrittenen Kulturfestivals “Tangente”. Ja, man kann von Wien aus auch nach St. Pölten auf Konzerte fahren. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist man, wie G. anmerkt, von uns dahoam schneller in St. Pölten als in der Wiener Seestadt, und Züge zurück gehen bis knapp nach Mitternacht. Mit St. Pölten klappen solche Ausflüge verkehrstechnisch sogar besser als mit Krems, wiewohl ich Krems die sympathischere Stadt finde (in St. Pölten hat man mir als Kind im Krankenhaus das Auge aufgeschnitten, ich nehm sowas persönlich; in Krems wurde ich nur einmal des Ladendiebstahls bezichtigt, und das sogar völlig zu Recht).
Ich hatte Malone (mit Stephen O’Malley) im Januar in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gesehen, in einem modernistischen Oktogonbau in blauem Zwielicht, nun also in St. Pölten in einem barock überzuckerten Kirchenschiff, das zunächst recht hübsch blau, dann in überdosiertem Rot erstrahlte. Das Programm war im Wesentlichen dasselbe; Stücke aus Malones Album All Life Long, das im Februar erschien. Es wird wohl auch an den unterschiedlichen Instrumenten und Räumen gelegen haben, dass der Orgelklang in St. Pölten weniger Tiefe und Volumen hatte und generell einfach so ein Hauch Verhaltenheit die Performance prägte (O’Malley auch wieder dabei übrigens). Mir kam vor, dass jene Passagen, die ich in Berlin als unwohlseingenerierend erlebt hatte, in St. Pölten abgemildeter rüberkamen, dafür aber trotz des enger einbarockten Raumes eine recht ansprechende Weite eröffneten, möglicherweise gerade wegen der Verhaltenheit, die mit sich brachte, dass die die Stücke beschließenden Vibrationsstrecken weniger einnehmend und fordernd verliefen. Die Kirche war voll, es waren auch noch zusätzliche Stühle in den Mittelgang gestellt worden. Das Publikum war sehr angetan, aber auch den Applaus holte sich Malone recht verhalten ab; sie erschien dann nur sehr kurz vorne, um sich zu verbeugen.
Freitag abends nach einem kühlen, regnerischen Tag dann Emily Stewart und Martin Siewert im Radiokulturhaus, “Solo Together”, erst beide separat (sie länger als er), dann beide zusammen. Genauer gesagt im recht anheimelnden, kleineren Konzertraum des Radiocafés, vor Bänken und Stühlen und Tischen. Stewart war mir neu, als Geigerin und Vokalistin in zeitgenössischer Klassik, Jazz und Pop unterwegs, Literarisches verarbeitend und selbst textend (2020 das Soloalbum The Anatomy of Melancholy), hier ein Instrumentalbeispiel gemeinsam mit Asja Valcic).
Erst gab es Songs von Stewart am Klavier, melancholisch, getragen, mit anekdotischen, autobiografischen Zwischenerklärungen, denen man an so einem Abend gern zuhört. Twice in a Day, in Villanelle-Form geschrieben, einem Pandemieprojekt entsprungen. But sometimes we must die twice in a day. Dann eine recht kurz wirkende Solostrecke von Siewert, die nach Ausflügen in elektronisch herbeigeregelte, gitarrenverschrammte Schrillheit und ruhigeren Passagen auf der akustischen Gitarre im Sound sinnierender Flipperautomaten landeten, leicht blubbernd, aber dann doch irgendwie die Melancholie der Songs aufgreifend und umsetzend. In der gemeinsamen Strecke griff Stewart dann auch zur Violine, und zwar genau dann, als ich mich frug, “greift sie eigentlich auch irgendwann zur Violine?”. Eine rein instrumentale Passage, die ich als ansprechend improvisierend wahrnahm, ließ dann einen elektronischen Beat zurück, der eine wirklich sehr, sehr schöne längere Abschlussnummer unterfütterte, Stewart dann wieder singend am Klavier, die Elektronik und die Gitarren etwas verhalten, aber ein verdammt stimmiger Rahmen für Melancholie unter den Bedingungen rhythmischen Knacksens, mit dieser oder jener prononcierten und doch weichen Gitarrenphrase dabei. Es waren leider recht wenig Leute da, berückend die ältere Dame vor mir in einem grünweißtürkis-gemusterten Kleid, die einen prononciert roten Cocktail trank, langsam, erst am Ende des Konzerts war er leer.