Go to content Go to navigation Go to search

- 1 06 2025 - 20:02 - katatonik

Rote Rüben, Perlhuhnbrüste und Brian Eno

Der Lebensmittelzustelldienst empfahl, doch noch einige französische Perlhuhnbrüste vor dem nahenden Verfallsdatum zu retten. Warum nicht. Dieses Rezept für gebräunte Perlhuhnbrüste auf rotgrünem Gemüse empfahl der Suchalgorithmus, mit roten Rüben, Frühlingszwiebeln und Karotten, what’s not to like. Anstelle des empfohlenen Madeira (für die Garflüssigkeit im Ofen nach initialem Anbraten der Brüstchen) nahm ich Shaoxing Kochwein, das Trüffelöl wurde durch sehr aromatisches Majoran-Würzöl vom Safranoleum ersetzt (dessen Würzöle ich sehr, sehr gerne empfehle). Die fantastische Kochflüssigkeit der blanchierten roten Rüben, Karotten und Frühlingszwiebeln — es war nur noch ein kleiner Rest — fügte ich der Garflüssigkeit aus dem Ofen bei deren abschließendem Eindämpfen der Sauce hinzu. Dann auch noch die unfehlbare Allesverbesserungszutat, nämlich den 5-Länder-Pfeffer von Elfie Breidt-Seiser, der Mutter von Katharina Seiser. Dazu gab’s Gnocchetti Sardi.

Ich mag rote Rüben sehr. Doch der spontane Griff zu diesem und keinem anderen der dann doch in größerer Zahl verfügbaren Perlhuhnbrustrezepte hatte eventuell auch mit Brian Eno zu tun. Brian Eno mag die Farbe Magenta sehr. Er trug ein magentafarbenes Hemd in Gary Hustwits Dokumentarfilm “Brian Eno”, der letzte Woche zweimal im Wiener Filmmuseum zu sehen war. Der Film besteht aus historischen Aufnahmen von Bühnenperformances und Studioszenen rund um Musikprojekte, an denen Eno in der einen oder anderen Funktion beteiligt war, aus aktuellen Aufnahmen von Interviews, die Hustwit mit Eno geführt hat, aus den gegenwärtigen Eno begleitende Szenen, die Hustwit aufgenommen hat, aus zuvor uneröffentlichten Musikaufnahmen aus Enos Archiv. Er hat aber keine feste Gestaltung, das ist das besondere. Aus diesem Repertoire wird anlässlich jeder Aufführung mithilfe generativer KI (bespoke generative software designed to sequence scenes and create transitions) eine einzigartige Version gebastelt. Keine zwei Publikumsgruppen sehen denselben Film, somit wurde auch bei den beiden Wiener Aufführungen nicht zwei Mal derselbe Film gezeigt.

Wie groß das Repertoire an Material genau ist und wie die Auswahl gestaltet ist, das kann ich nicht einschätzen. Laienhaft stelle ich mir eine gewisse Rezeptur vor: nimm mindestens zwei Szenen, in denen sich Eno über die menschliche Natur (unendliche Vorstellungskraft) oder das Planetare äußert (wir müssen auf den Planeten achten, die Zukunft kann auch großartig werden), maximal fünf Szenen, die Natur (Kühe, Schwäne, Bläßhühner), Eno im Garten (mit dem Mobiltelefon ungewöhnliche Insekten filmend) oder am Spaziergang durch einen Park zeigen (auch rückwärts abgespielt), auf jeden Fall was mit Bowie, Bono, Frauen, (Laurie Anderson), Multiethnisches (Fela Kuti, Laraaji), mindestens eine Szene zu den Oblique Strategies, zwischen fünf und sieben mit Eno am Gerät, experimentierend, mischend, hörend, den heutigen Eno, den aus den 1970er Jahren, den aus den 1980ern (hair line more receded). Chronologiequoten sicher auch dabei (mindestens eine Szene aus einem sehr rezentem Projekt, jenem mit dem Baltic Sea Philharmonic zum Beispiel, mindestens eine vom ganz jungen Eno, der mit dem Glamrock). Beachte überdies Vor- und Hintergrund, stelle ein Thema hier in den Vordergrund und lasse es dort als Nebenstrang wieder auftreten. Mische die Zutaten nicht willkürlich, beachte gewissermaßen Garzeiten und wie der Kochvorgang einzelne Substanzen transformiert. Vordergrund und Hintergrund: Was zu Beginn im Vordergrund ist, tritt später in einem komplexeren Gericht an den Rand, spielt nur noch mit. Oder umgekehrt, je nach Zutat. Rote Rüben färben zum Beispiel alles, was ihnen nahekommt, ein. Frühlingszwiebel tun dies nicht.

Jedenfalls: Die Software war gewiß kein reiner Zufallsgenerator. Das Risiko, bei einer der Vorführungen 85 Minuten lang nur Kühe und Bläßhühner abgemischt zu bekommen, wird wohl niemand der Beteiligten eingehen wollen, so interessant ich das fände. Doch der biografische Fokus ist vorgegeben. Der Film ist generativ und in gewissem Rahmen unvorhersehbar, aber er ist kein Experiment, und das Filmmuseum ist nicht der Echoraum. Den Ansatz, ein biografisches Projekt zu einem Künstler dessen künstlerischem Ansatz entsprechen zu lassen, finde ich dabei etwas hochgestochen. Am Ende ist “Eno” doch recht konventionell durch die autobiografische Darstellungs- und Erzählweise des Meisters gestaltet und erstaunlich homogen, was darauf hinweist, dass das verwendete Filmmaterial in sich eine recht homogene Perspektive auf den Meister hat, zumindest jenes, das in dieser Wiener Aufführung zum Einsatz kam. Das ist nicht unsympathisch, wenn auch für meinen Geschmack etwas zu hagiographisch, jedoch interessant, weil der Mann eben einfach interessant ist (und sympathisch, sagte ich das bereits?). Man könnte die Analogien noch weiter auffächern, von wegen generierter Film und Kochrezept, denn Eno selbst spricht (in einer der Wiener Szenen) von seiner Art, Musik zu machen, eher mithilfe von Malerei als Metapher. Lässt sich generative KI-Gestaltung mit Malerei analogisieren?

Aus dieser einen Wiener Mischung hängengebliebene Splitter (ich ergänze dies möglicherweise noch): ein freundlicher, souveräner, sympathischer und trocken sarkastischer Herr, der nach seiner autobiografischen Erzählung eigentlich wie sein Großvater und Vater Briefträger im ländlichen England hätte werden sollen, ein umgänglicher Nerd, einer, der immer versucht und probiert, ein recht gelassener Getriebener, sozusage. Einer, der nicht nur ein Ding sein will, der zum Beispiel, wie er so autobiografisch erzählt, an der Rockmusik das Körperliche schätzte, an der Klassik die überlegte Intelligenz, der aber eben Beides wollte. Als roter (dare I say: magentafarbener?) Faden, was Musik betrifft, die Körperlichkeit, die Materialität von Klang, der Versuch, sie zur Geltung kommen zu lassen, zu entwickeln, mit sehr unterschiedlichen Mitteln.

Da war die eine Aufnahme, in der der recht junge Eno vor einem Turm an Gerätschaften steht, am Boden liegt nackt ein recht großer Lautsprecher aus weißem Latex. Eno will den Filmenden vorführen, welch tolle Klänge man da rausholen kann. Es kommt nichts, und dann offenbar nicht erwartetes, abgehacktes Summbrummen, durch längere Stillestrecken unterbrochen. Eno ist das nicht peinlich, er ärgert sich nicht, da ist eher so ein “oh!” — er findet sofort Gefallen an dem Klang, der eigentlich als Störklang entstand (und der vermutlich bedeutet, dass einer der Verstärker hinüber ist). Man merkt, er möchte sich unverzüglich nur noch mit diesem Summbrummen befassen, ihm nachgehen, und nur die Höflichkeit gegenüber dem Filmteam, das ja etwas anderes von ihm wollte, hält ihn davon ab.

Die Geschichte mit dem Kölner Flughafen, geplant von Paul Schneider-Esleben (dessen Sohn Kraftwerk mitbegründete), der Eno zu “Music for Airports” inspirierte (es gibt übrigens in der herrlichen Serie “The Rehearsal”, S02E04, eine Szene mit gecasteten Bands in einem Flughafen, die ich nicht umhin konnte, als Hommage an Music for Airports zu sehen). Die Geschichte von Laraaji, der immer im New Yorker Washington Square Park seine selbst elektrifizierte Zither spielte und einmal einen Zettel mit Telefonnummer in seinem Geldsammelmützchen fand, von Eno, erzählt er, der ihn aus Höflichkeitsgründen nicht unterbrechen wollte, aber auf diese Weise kundtat, dass er die Musik mochte und falls er, Laraaji, Interesse an einem gemeinsamen Projekt hätte, würde er sich über einen Anruf freuen. (Dies führte zum Album “Ambient 3 — Day of Radiance”.)

Im Studio mit dem jüngeren Bono, 1984, der sich in “In the Name of Love” so richtig reinsteigert (die Szene ist auch auf YouTube). Die anschließende Kritik ist delikat, behutsam, restrained. “I wouldn’t like to inhibit what you’re doing”.


Perlhuhnbrust …. wie delikat ….

amberlight (Jun 2, 12:59 pm) #

  Textile help