Gallertartige und beglückende Konzerte
Donaufestival, Krems, 27.4.
ZULI (Ahmed El Ghazoly) & Omar el Sadek der erste Act, dem ich beiwohne; sehr lautes, mitunter tief vibrierendes Zeug mit, tja, dreinfahrenden Tönen. Der Programmtext sagt: “Gelegentlich versucht man zu dieser Musik zu tanzen, sie fordert einen stetig dazu heraus; aber dann hat man auch wieder den Eindruck, dass die Beats sich in Säure auflösen, und dass der Boden des Dancefloors sich in eine Gallertmasse verwandelt.” Das ist nicht unzutreffend, was mit Säure und Gallert — Letzteres im Sinne von: durchsichtig und zäh —, aber not in a good way. Ich verbringe das Konzert im Nebenraum der Halle, in den sie offen übergeht. Da gibt es, wie auch letztes Jahr, eine altersaffin positionierte Sitzmöbelkonstruktion und die Bar.
Die Barschlange wird während des Konzerts deutlich länger, als sie es davor gewesen war. Nebeneffekt der Barbereichsflucht ist, dass man sich verplaudert und übersieht, dass man sich ja zum Autechre-Konzert von der Halle 2 zum Stadtsaal begeben darf, der bis zu 650 Personen fasst und dann bei unserem Eintreffen bereits sehr, sehr gut gefüllt ist, also “ich bin froh, dass sich D. vor mir einen Weg durch die Menge zu einem annehmbaren Platzerl bahnt und ich in ihrer Spur mitkommen kann” gut gefüllt. Es ist dunkel und die Beats brechen. Es ist sogar so dunkel, dass die Notausgangbeleuchtung verhüllt ist, ein Aspekt, der, wie ich später an der Bar erfahre, bei der Feuerwehr (immer gut sichtbar präsent, die Herren) auf so gar keine Gegenliebe stieß. Das ist nachvollziehbar, aber die totale Dunkelheit im Saal ist dann auch einfach nachgerade zwingend. Unhierarchisches Zurückgeworfensein in die eigene, unmittelbare Umgebung, Sound von irgendwo da vorne, kein Sinn für die Masse und doch ein Gespür für ihre hörende und sich bald auch bewegende Existenz.
Die Menge um mich herum lockert sich im Verlauf etwas, was Raum für mitvollziehendes Hopsen, Wippen und Stampfen schafft. Ein fetter und trockener Sound zugleich, in den besten der vielen, vielen guten Phasen akustisch-rhythmische Umspringbilder, bei denen sich dein Gehör, dein Körper, aussuchen können, welcher Spur sie folgen wollen, wechselnde Spurweiten, Spurwechsel. Das könnte alles sprunghaft sein, fühlt sich aber sehr geschmeidig an. Meister der angekündigten, deutlich hörbar eingeleiteten, aber in ihrem Verlauf nicht vorhersehbaren Transformation. Das Spüren mitvibrierender Begeisterung im Saal, bei einigen der eingewobenen Wechsel branden Begeisterungsrufe auf. Ein fantastisches Konzert, und da fragst du dich dann, was kann jetzt noch kommen, aber du musst ja eh noch zur französisch-ghanaischen Musikproduzentin PÖ (Pauline Bedarida), denn der Bus zurück nach Wien fährt erst nach dem letzten Konzert.
Also zurück zur Halle 2, die nun auch sehr, sehr gut gefüllt ist, aber eben klangoffen in den großen Nebenraum übergeht. Über PÖ lese ich auf der Donaufestival-Website, sie wäre für ihre Art der Vokalisierung bekannt, hörbar auf ihrem Album Cociage. Dieses Set, ganz anders, ein tanzbar aufgeheizter Strom, bewegt sich von verdubbter, rhythmisch langsamer, satter Tiefe zu sehr speedigen und verglitchten Strecken (nicht ganz so meins) hin und wieder zurück, mit bemerkenswerten Afro-und brasilianischen Komplexitäten aus einem house-inspirierten Universum, das mir nur sehr punktuell bekannt ist. Im Saal lande ich in einer Umgebung mit tanzenden, wippenden, lachenden oder lächelnden Frauen, das ist extrem angenehm und wechselseitig verstärkend und aufschaukelnd. Gegen Ende verarbeitet PÖ eine Nummer, die ich sehr gerne höre: Warrior Queen mit The Bug, Poison Dart. Auch hier verlassen Menschen den Saal mit durchwegs beglückten Gesichtern.