An den Mond und unter Silberfischchen (mit Sesselleiste)
An diesem einen Abend zu einer Finissage in den Echoraum, deren zugehörige Vernissage ich leider versäumen musste: Sounding Spomenik hieß die Ausstellung. “Spomenik” bedeutet im Serbokroatischen und Slowenischen “Denkmal, Monument.” Es gibt viele brutalistische Denkmäler im früheren Jugoslawien. Beton, Stahlrahmen, Metallplatten, Architekturen mit Hohlräumen. 2021 begann ein Sublabel des slowenischen Labels “Inexhaustible Editions” perspektivisch längerfristig die “sonic attributes” von Spomeniks zu erforschen, indem sie örtliche Musiker*innen ersuchten, dort zu spielen – ergo das Projekt “Sounding Spomenik”.
Zur Finissage traten Peter Ablinger und Biliana Voutchkova auf. Ablingers Komposition “An den Mond” für vokalisierende Violinist*innen, gespielt und vokalisiert von Voutchkova, erschien bei “Inexhaustible Editions” (hier auf Bandcamp). Geschichtete Violinklänge, geschichtete Stimmverläufe, Einsätze versetzt, miteinander verschlungene Linien, die einander hochtreiben, Ausflüge ins Schrille und Unstimmige. Dann performten Ablinger und Voutchkova noch gemeinsam “Das ökologische Manifest”, und ich erlebte Ablinger bei einem seiner sehr seltenen Live-Auftritte als hoch engagierten Papierzerknüller. Danach trank man noch gemütlich Wein und plauderte; es ist dies ein Ort, wo man Wert auf guten und preisgünstigen Wein legt und was zum Plaudern hat. Über Musik, klar, aber auch über Weinanbau und Bienenfresser zum Beispiel, oder über die Grundstücke an den nahen Westbahngleisen, und was damit geschehen wird — ob dort ein Park entstehen kann, was die Bezirksverwaltung möchte, was die Anwohner*innen in diesem dicht verbauten, grünfreien Bezirk gerne möchten, oder Wohnbauten, was die ÖBB möchten, oder zumindest Teile davon, und denen gehört der Grund. Oder über Mathematikaufgaben, die man mit Söhnen macht, darüber kann man da auch plaudern.
Karolina Preuschl macht in Wien bildende Kunst und Musik. Im September sah ich ein Konzert von ihr im Echoraum, Stimme, Klavier, Elektronik; sehr gute Texte, alltagsgegründete Poesie, durch die Strategie der abwandelnden Wiederholung verfremdet, unglaublich kräftige Stimme, unglaublich kraftvolle Performerin. Der Text zum Track Sesselleiste (2020), den sie als Coco Béchamel mit Lukas König performt, ist ein gutes Beispiel dafür. Man würde hinter diesem Titel nicht unbedingt ein Sprachkunstmusikstück zur österreichischen Vergangenheitsbewältigung erwarten, aber das ist es, und zwar ein auf abgründige Weise großartiges.
Karo Preuschl war nun einen Monat lang “Artist in residence” in den Westbahnstudios, einem Aufnahmestudio in einem Hinterhofgewerbetrakt des 15. Bezirks, das sich neu aufstellt; es gibt schon länger gelegentlich Konzerte da. Gestern präsentierte sie, was sie in residence erarbeitet hat. Auch dazu gab es guten und preisgünstigen Wein, auf den man dort Wert legt.
Sie begann mit sehr konzentriertem Spiel am Flügel. Dann ertönte ein Husten, und du glaubst, es ist jemand im Raum, aber nein, es kam aus den Lautsprechern. Es war der Anfang einer Strecke mit Hustensamples, das wird langsam klar, eine gut gesetzte Pointe in dieser Zeit, wo gefühlt alle husten, eine Pointe, die genauso lange dauerte, wie sie dauern musste. (Preuschl hat auch einen sehr guten Sinn für Timing.) Husten als Rhythmusgeber, er wird dann zu einem tiefen, kehligen Stöhnen, wie man es aus Filmen mit nicht-menschlichen, nicht-tierischen Lebewesen der bedrohlichen Art kennt. Wechsel zu schwirrender Elektronik. Dann ungemein starker Gesang ausschließlich mit Hall als Begleitung, punktiert durch kraftvolles Stampfen des Mikrofonständers auf den Boden. Der Text handelt von einem Buch, in das sie etwas schreibt, und mit dem sie Silberfische erschlägt. Von Liebe, über die sie in das Buch schreibt, von den Silberfischen, die sie erschlagen hat, bevor dann Silberfischfallen aufgestellt wurden, und das macht naturgemäß etwas mit der Liebe, wenn sie keine Silberfische mehr erschlägt.