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- 24 12 2023 - 20:20 - katatonik

Wim Wenders, Perfect Days (Japan 2023, 123 min.)

[Drehbuch mit Takasaki Takuma]

Der Film war als Dokumentation über das Projekt “Tokyo Toilets” geplant, im Bezirk Shibuya 17 öffentliche Toiletten von 16 namhaften Architekt*innen gestalten zu lassen (Überblick). Der Toilettenhersteller Toto arbeitete dazu mit der Nippon Foundation zusammen; das Projekt stand in Zusammenhang mit der Olympiade 2021. Es ging um Hebung hygienischer Standards, verbesserte Zugänglichkeit, auch Kommunikation japanischer Gastfreundschaft an die internationalen Gäste (zu einer Zeit, da es noch strikte Reisebeschränkungen wegen der SARS-CoV2-Pandemie gab, die auch in Japan ansässige Ausländer*innen betrafen, werden das Betroffene wohl eher als Verhöhnung wahrgenommen haben).

Es kam dann anders; es wurde ein anderer Film.

Bilder. Stadträume in Rhythmen des Arbeitsalltags eines Toilettenreinigers. Kameraflüge über Tokio, das in kleinteilig gebaute Blöcke zerfallende Tokio, durchzogen von den Bändern der Stadtautobahnen, immer, wenn gezeigt wird, wie der Toilettenreiniger Hirayama mit seinem kleinen Lieferwagen unterwegs zur Arbeit ist. Die Toiletten, das sind einige der 17 Architekt*innentoiletten. Wir sehen sie von außen, von innen, aus Blickwinkeln, die ihre architektonischen Qualitäten erscheinen lassen. Nie ostentativ verdreckt, gelegentlich unordentlich von verstreutem Müll. Hirayama in seinem blauen Overall, auf dem hinten “The Tokyo Toilet” steht, gebeugt über WC-Schüsseln, mit Spiegeln deren Unterseite prüfend, die Arschduschdüsen säubernd, die Knöpfe für deren Betätigung polierend, die Enden der neu eingelegten WC-Papier-Rollen zu Dreiecken faltend.

Das Verhalten um die Toiletten herum ist stillschweigend ritualisiert, wie so vieles in Japan. Muss oder möchte jemand jene Toilette benutzen, in der Hirayama tätig ist, so verlässt er sie so unauffällig und wenig störend wie möglich, stellt sich draußen an eine Wand, wartend, still, lässt dabei seinen Blick offen und mit der Bereitschaft zu staunen auf das fallen, was sich ihm zeigt: die Schattenspiele auf Wänden, das Sonnenlicht, wie es durch die Blätter von Bäumen fällt. Staunen: Sogar darüber, dass ihn andere mitunter das Befremden über seine Tätigkeit spüren lassen, scheint Hirayama zu staunen. Seine Mittagessen – Sandwiches aus dem konbini, dem convenience store – nimmt er stets auf einer Parkbank ein. Auch dabei blickt er auf Sonnenlicht, wie es durch die Blätter. Es gibt im Japanischen ein Wort dafür: komorebi, das erzählt übrigens der Abspann ganz am Ende in einer die Geduld der Abspannblicker*innen etwas belehrend belohnenden Geste.

Am Ende eines jeden von Hirayamas Tagen eine Sequenz in Schwarz-Weiß, komorebi, darin eingehaucht Restbilder des Tages. (Die Sequenzen gestaltet von Donata Wenders.) In Hirayamas Schrank Metallboxen mit Fotos von komorebi, jede Box steht für einen Monat. Es sind viele. Wo liegt die Grenze zwischen hingebungsvoller Aufmerksamkeit für das Detail und zwanghaftem Verhalten?

Jeden Morgen gießt Hirayama Setzlinge, die er in kleine Töpfchen, Teebecher, gepflanzt hat. Japanischer Ahorn, vermute ich. Wir sehen, wie er einen Setzling aus dem Park mitbringt, vor Ort sorgfältig mit etwas Erde in eine Papiertüte gesetzt, die er zusammengefaltet in seinem Overall mit sich trug.

In der Buchhandlung, wo Hirayama seine Lektüre kauft, ersteht er um 100 Yen second hand “Ki” (“Baum”) von Kōda Aya (1904—1990), einer Essayistin und Romanschriftstellerin. “Ki” ist, so finde ich später heraus, eine Sammlung von Essays, in der Kōda ihre Interaktionen mit Bäumen darlegt, die sie von Norden bis Süden, Hokkaido bis Yakushima, besucht hat. “Ich möchte Bäume treffen und mich von ihnen bewegen lassen”, wird Kōda auf Buchhändlerseiten zitiert, wo “Ki” angeboten wird. Es dürfte keine Übersetzung in eine europäische Sprache geben. Kōda Aya sei doch vernachlässigt, nicht, sagt die Buchändlerin. Sie freut sich, dass Hirayama das Buch kauft.

Stadträume in Rhythmen, Innenräume in Rhythmen. Hirayamas kleine Wohnung in einem schäbigen zweigeschossigen Bau wird wohl in Asakusa liegen. Von Asakusa sind es etwas mehr als 10 Kilometer nach Shibuya. In Asakusa sind viele der Aufnahmen von Hirayamas Alltags jenseits der Toilettenreinigung angesiedelt, einer Gegend mit starkem shitamachi -Feeling. Der Begriff shitamachi ist vage; historisch bezieht er sich auf die lower city, die Wohngegenden der kleinen Leute in Tokio, niedrig gelegen, daher häufiger überflutet als die Gegenden für Kaiser, Adel und andere Begüterte. Er hat heute kulturelle Konnotationen, steht für das Kleinteilige, Alte, für enge, oft kurvige Gassen, Handwerksläden und kleine Geschäfte, streunende Katzen; Dinge, die es dort noch gibt. Ozus Filme sind shitamachi -Filme, sie standen damals schon für eine Melancholie des Verschwindens einer Lebenswelt. Durch Asakusa bewegt sich Hirayama auf dem Fahrrad, aufrecht sitzend, wie in Japan zumeist Fahrrad gefahren wird, auf klapprigen Rädern mit wenigen Gängen, am Gehsteig, daher gezwungen langsam. Eine verkehrsplanerisch erzwungene Eleganz. Aber eben doch: Eleganz.

Audio tapes. Hirayama hört im Auto Musik von Kassette (Assoziation: Hamaguchi Ryusukes wunderbaren Film “Drive My Car”, 2021), Lou Reed, später in einer Szene mit Jüngeren auch Patti Smith. Die Kassette zieht sich als Motiv durch, als Gegenstand, mit dem die Jüngeren nicht wissen umzugehen (und einmal, in einer Situation, die für ihn ungewohnt ist, erwischt auch Hirayama die Einsteckrichtung falsch), der ihn als aus ihrer Zeit gefallen markiert. Sie steht aber auch für Veränderung, und für neue Möglichkeiten von Verbundenheit: Der jüngere Kollege bringt Hirayama und ein paar von dessen Kassetten in ein Geschäft für second hand tapes, er könnte dort seine Tapes um viel Geld verkaufen. (Natürlich interessiert ihn das nicht.) Die junge Frau, die der jüngere Kollege glaubt, mit Geld herumkriegen zu können, hört lieber mit Hirayama in dessen Lieferwagen Patti Smith von Kassette.

Männer. Abendessen in einem kleinen Restaurant in einer Unterführung eines Bahnhofs in Asakusa, wo andere Männer essen, in stillem Einvernehmen. Besuch eines öffentlichen Bades, wo andere Männer ihre alten, nackten Körper reinigen, bevor sie in das heiße Wasser steigen. Besuch eines Waschsalons, eines Fotogeschäftes, wohin Hirayama seine komorebi -Aufnahmen zum Entwickeln bringt, wo er neue Filme kauft. Besuch einer Bar, wo andere Männer trinken, Geplänkel, die Mama-san führt elegant die Unterhaltung; sie singt “House of the Rising Sun” auf Japanisch, auf Bitte eines Gastes. Nur einmal sehen wir einen Besuch eines buddhistischen Tempels. Andeutung eines vergangenen Todesfalls? Für den Tod ist in Japan der Buddhismus zuständig, für das Leben der Shintō, sagt man.

“Perfect Days” ist auch ein Film über Männer in Tokio, die älter werden, ihre Körper, ihre Einsamkeit, ihre Krankheiten, ihr Fallen aus Welten, in die sie nicht mehr zurückkönnen, ihr Fallen in Welten, die sie nicht verstehen. Es gibt nicht eine Welt, sagt Hirayama einmal zu seiner Nichte, die Welt besteht aus vielen Welten. Da ist eine wunderbare Szene, in der Hirayama nachts am Ufer des Edoflusses versucht, eine Zigarette zu rauchen. Man sieht ihm an, er hat das früher gemacht und lange nicht mehr. Er hustet. Ein zweiter Mann gesellt sich dazu, bittet ihn um eine Zigarette, auch das, spürt man, eine Geste der Kontaktaufnahme, die der Betreffende schon länger nicht mehr getätigt hat. Beide rauchen, beide husten. Es ist eine von mehreren Szenen, die sich ins Komische entwickeln, mit einem Humor, der nicht immer meiner ist.

Hirayamas Leben gerät aus dem Takt. Da ist eine Situation unerwarteter Überlastung in der Arbeit, da ist das plötzliche Auftauchen seiner Nichte Niko, die von zu Hause weggelaufen ist. Es führt dazu, dass er seinen Rhythmus verliert, an den gewohnten Orten Dinge aus dem Leben anderer sieht, die nicht für ihn bestimmt waren, und an anderen als den gewohnten Orten gewohnte Dinge tut. Lesen im Waschsalon, ohne dort zu waschen. Wie viel von seiner Selbstbescheidung ist Suche nach Sicherheit, wie viel Verweigerung, etwas außerhalb gewohnter Bahnen wahrzunehmen, wie viel Hilflosigkeit?

kondo wa kondo / ima wa ima, diesen Satz sagt Hirayama auf einer Brücke zu seiner Nichte. Sie möchte in dieser Situation eine Versicherung, eine Verabredung, ein Versprechen einer konkreten Zukunft. Er geht nicht weiter als kondo, “nächstes Mal”, sie so “wann ist nächstes Mal”, er darauf ebendiesen Satz: “nächstes Mal ist nächstes Mal / jetzt ist jetzt”. Beide auf Fahrrädern, sie wiederholt den Satz, er wiederholt ihn, beide wiederholen ihn, mehrmals, sie fahren in Schlangenlinien. (sabi, das Prinzip des Ephemeren aus der japanischen Ästhetik.) Die Verweigerung des Erklärens; Erklären allein durch Zeigen, das sagte Wenders einmal, hätte er bei Ozu gesehen und gelernt. Ritualisierte Gesten, wortlos, sparsam. Aussparungen, Ungesagtes, Zurückhaltung dem Leben gegenüber. Spontan war ich versucht zu meinen, den filmischen Umgang mit Ungesagtem hätte ich bei japanischen Regisseuren besser gesehen als in “Perfect Days”, subtiler. Ich möchte den Film gern noch einmal sehen.


Guten Tag, ich danke für diesen wunderbaren, weil auch aufschlussreichen Text. Sie nennen so viele kleine wichtige Hinweise (wie auch das, dasz der Buddhismus für den Tod zuständig ist). Woher haben sie das :-)? Ich danke auch besonders für die Anmerkungen zu Kōda Aya!
Ich habe die jap. Originalversion mit dt. UT ein 2. Mal gesehen (nach der dt. Version), einfach auch um mehr zu sehen & zu hören.
Schönstes & weiterhin immer mehr Gelingendes Ihnen vom Bodensee zuwinkend! Herzlich, H.

helianth (Feb 25, 05:37 pm) #

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