Go to content Go to navigation Go to search

- 6 10 2001 - 22:34 - katatonik

emphatisch unempathisch

Um Empathie geht’s am Woerterberg und auf malorama. Woerterberg meint, Empathie wäre “etwas, das in der Berichterstattung, in einer politischen Diskussion, im medial vermittelten Diskurs allgemein nicht unmittelbar ausgedrückt werden kann, ohne den Beiklang der Peinlichkeit oder Falschheit anzunehmen. Dafür gibt es e-Mail, Telefon, Beileidstelegramm und Solidaritätsadresse”. Malorama hingegen stört gerade diese Einstellung, die Empathie ins Private verbannt, die Verknüpfung von öffentlicher Empathie mit Peinlichkeit, “der verzweifelte wunsch nach erklärungen und “deutungszusammenhängen” auf teufel komm raus”.
Ich fühle (!) mich da etwas angesprochen, da ich, muß ich gestehen, öffentlich auch nur nach Erklärungen und Zusamenhängen suche und mir das Grauen, das mich etwa beim Anblick von aus den Fenstern des WTC stürzenden Menschen befiel, gerne für den privaten, unmittelbar zwischenmenschlichen Bereich vorbehalte. Peinlichkeit steht in den Gedanken, die mir so in letzter Zeit zwischen Kiefereiterung und Zungenpilzbefall durch den Kopf gehen, allerdings weniger im Vordergrund. Peinlichkeit ist mir überhaupt scheißegal, was schon die Erwähnung des Wortes “Zungenpilzbefall” an dieser Stelle verdeutlicht.
Zumindest in dieser schriftlichen Öffentlichkeit meines Weblogs hier hat die Äußerung reiner, unverbrüchlicher Empathie und starker, unverdünnter Emotion keinen Platz, aus mehrerlei Gründen. Hier kann nur in Sprache auf Sprache reagiert werden, hier würden schon mehrere Abstraktionsschritte zwischen empathischem Gefühl und Ausdruck liegen, die mich dann immer mich selbst befragen ließen, was ich eigentlich damit wollen könnte. Außerdem gehe ich davon aus, man bekommt zurück, was man schreibt. Wer mit Provokation versucht, eine Debatte zu schaffen, darf sich nicht wundern, wenn die Debatte vom Unterton gereizter Herausforderung und fieser Kniekehlenschlägerei beherrscht bleibt. Wer rufzeichenbewehrt den Empathiker raushängen ließe, dürfte sich nicht wundern, wenn ihm das nächstbeste Rufzeichen seinen Punkt aufs Auge knallt, oder wenn es sich flugs als Mitempathiker erklärt. Und dann? Mit “ich auch”Kommentaren kann ich nichts anfangen, es sei denn, es würden sich jetzt auch noch andere Zungenpilzbefallene empathisch melden.
Nein, bei Veröffentlichungen gerade anläßlich politisch wirksamer Katastrophen stellt sich immer die Frage nach Funktion und Dienlichkeit. Man kann sie eine Zeit lang aus Taktgründen zurückdrängen, aber nicht vergessen.
Der Riegel zwischen Schreckensbild und Reaktion sind zwei. Da ist zum einen die in mühevoller Selbsterziehungsarbeit
brutal, echt! – antrainierte Skepsis gegenüber Bildern und medial vermittelter Information, die einerseits die mögliche unehrenhafte Herstellung von Bildern unter Verwendung von Retuschierungs- und Montagetechniken stets in Erwägung zieht und andererseits immer den ausschnitthaften Charakter des Dargestellten sieht, befragt, in Zusammenhang mit dem ja meist gleichzeitig Gesagten setzt. Nein, wenn man sich einmal mit totaler Ideologiekritik unter den Tisch gesoffen hat, wird man diesen Saufbruder eigentlich nicht mehr los.

Tangente: “Bilder, haben wir gelernt, lügen. Deswegen muss man den Zweifel mobilisieren, den Widerspruch, das Argument. Was aber, wenn dieses Bild nicht gelogen hätte?” So stand’s unlängst am Sofa. Aber was soll das heißen? Indem die Bilder, die wir sehen, immer nur flach-visuelle Ausschnitte einer mehrdimensionalen Realität sind, die wir nicht sehen und erfahren, lügen sie alle, wenn man diesen Umstand mit “lügen” meint. Indem Bilder auf prägnante Weise stumm sind, weswegen man sie gemeinhin ja auch kommentiert, sprechen sie nicht und lügen also auch nicht, können daher auch nicht die Wahrheit sagen o der wahr sein. Bildern läßt sich nicht widersprechen; den Zusammenhängen, in die sie gestellt werden, die Aussagen, die man immer wieder versucht, mit ihnen zu belegen – dem kann man widersprechen. Widersprechen kann man auch einer bewußten Manipulation von Bildern, also dem Umgang mit Bildern. Hm. Ende der Tangente, bevor sie ins Unendliche geht, was ja Tangenten so an sich haben – nö, Tschulligung, das waren doch die Parallelen.


Zur Bilderskepsis könnte man sich vielleicht auch langsam eine Gefühlsskepsis angewöhnen, oder hat das eh schon längst und weiß es nur noch nicht so recht, denn das Ausschnitthafte, das prägnant Stumme und dazu auch noch das Reaktive – das Abgebildete reagiert ja oft, wenn es denn kann, auf den Umstand des Abgebildetwerdens – haben das Bild im allgemeinen und das abgebildete Gefühl gemeinsam. Und auch beim medial vermittelten Gefühl führt die Frage, ob es “echt” oder “falsch” ist, authentisch oder inauthentisch, ehrlich oder geheuchelt, ins Leere, genau wie die Frage nach dem Wahren oder Falschen an Bildern.

Der zweite Riegel zwischen Schreckensbild und Reaktion kommt aus jahrelanger profunder Erfahrung mit Katastrophenfilmen. Nein, die Schreckensreaktion kennt den Unterschied zwischen Film und Bildschirmrealität nicht mehr unmittelbar, sondern muß ihn sich erst durch wiederholtes Vergegenwärtigen des Satzes “aber das ist wirklich passiert” erarbeiten.
Genauso, wie Bilder- und Gefühlsskepsis erst daran arbeiten müssen, sich selbst gelegentlich als irrelevant beiseite zu stellen: Klar dient das Zeigen von Schreckensbildern oder zutiefst erschütterten Menschen einem bestimmten politischen Zweck, bewußt oder nicht, aber das ist nicht immer das Vorrangige. Der Saufbruder der Ideologiekritik muß eben gelegentlich auch in die Ausnüchterungszelle gesteckt werden.

Empathie angesichts von Fernsehbildern von Leid und Schrecken? Empathie ist Einfühlungsvermögen, ein Sich-in-jemanden-Versetzen. Ich kann mich weder in hungernde Kinder einfühlen noch in aus Fenstern stürzende Menschen, ich kann nur nachfühlen, dass es sich dabei um schreckliche Erfahrungen handeln muß, die von mir dann entweder aus Selbstschutz verdrängt werden, in Überweisungen auf Spendenkonten münden oder zur Ausbildung von Überzeugungen beitragen, die sich dann, wenn meine Füße nicht einschlafen, in irgendeiner Weise im Alltagsleben und -handeln zeigen. Emotionale Vorstellungskraft regt sich bei Schreckensbildern, aber keine Empathie. Ich bin von den Flugzeugattacken nicht betroffen, weil ich nicht vor Ort bin und auch nicht Teil jener Gemeinschaft und Gesellschaft, die jetzt darunter leidet. Ich bin von den Flugzeugattacken betroffen, weil sie ökonomische und politische Folgen haben, die über die Grenzen der USA hinausreichen. Dieses Betroffensein ist allerdings keine Betroffenheit, die stumm und herzlich macht, sondern eines, das nach Erklärungen verlangt und Zusammenhänge braucht.

Mir ist die Welt da draußen zu groß für konkrete Empathie, und abstrakte Empathie mit dem Menschen an und für sich scheint mir eher eine gefühlig mißverstandene Form von Humanismus zu sein, die nur allzu viel von dem im Weg steht, was an ebenjenen Situationen etwas ändern könnte, die sich in Schreckensbildern zeigen.

Gedanken und Begriffe sind globusumflugtauglich, Empathie bleibt vor Ort. So wie der Zungenpilz.


"Wer mit Provokation versucht, eine Debatte zu schaffen, darf sich nicht wundern, wenn die Debatte vom Unterton gereizter Herausforderung und fieser Kniekehlenschlägerei beherrscht bleibt."
Mmh, nicht unhermetisch in diesem Kontext.
Wo ist die Adresse? - Aber was die schönen Weblog-Namen angeht: "zungenpilz.at" ist vergeben, "zungenpilz.de" noch nicht. Was das wieder zu bedeuten hat...

marco vogts (Oct 7, 02:17 am) #


das mit der provokation war nur als ein beispiel gedacht, wie der ton, mit dem man eine auseinandersetzung beginnt, bestimmt, wie die dann läuft. war jetzt nicht konkret auf eine diskussion in diesem zusammenhang gemünzt.
im kopf war mir das deshalb, weil der http://.../>standard in den letzten monaten mindestens zweimal versuchte, so diskussionen anzuregen, was aber sehr sonderbar verlief. beispiel 1: rudolf burger schreibt eine lobpreisung des vergessens und geisselt das mahnen und gedenken im zusammenhang mit dem holocauts. beispiel 2: heinz zangerle und gerhard amendt behaupten, der wunsch von homosexuellen nach kindern sei höchst egoistisch, homosexuelle eltern zu haben würde dem kindeswohl schaden. (dazu http://.../#295">hier).
so kann man, finde ich, als medium nicht ernsthaft versuchen, diskussionen in gang zu bringen, weil die späteren beiträge ja immer auch auf den akt der provokation reagieren müssen, sonst bleibt zu viel im raum, und damit oft im von der provokation gesetzten rahmen steckenbleiben - rhetorisch, thematisch, perspektivisch. schaut nix raus dabei.

katatonik (Oct 7, 02:12 pm) #


och, unter kniekehlenschlägerei hab ich mir aber immer was anderes vorgestellt. geht doch recht zivilisiert (oh, unwort, darf man nicht mehr benutzen) zu. bin im gegenteil sogar dankbar, daß es endlich mal überhaupt so was wie eine diskussion zu dem thema gibt, die den allgemeinen common-sense-trampelpfad der erklärungsversuche verläßt. da ich an weblogs vor allem das private, persönliche, den inszenierten einblick in das leben eines mir meist persönlich nicht bekannten menschen schätze, haben zungenpilz, liebeskummer, betroffenheit und empathie dort auch durchaus eine daseinsberechtigung. also verschone mich bitte auch zunkünftig nicht mit blumig umschriebenen krankheitsbeschreibungen.

stephan (Oct 7, 04:05 pm) #


meine zungenpilze kannste jederzeit haben, liebeskummer behalte ich, so vorhanden, eher für mich.
aber sobald's um politik geht, kann ich in puncto emotionen bestenfalls mit ärger über dummheit dienen, was in meinen neuronen sonst noch an gefühl über attentate, deren ursachen und deren folgen rumzittert, bleibt auch dort. bin ich nicht zivilisiert?

katatonik (Oct 7, 10:20 pm) #

  Textile help