Go to content Go to navigation Go to search

- 28 04 2022 - 15:33 - katatonik

Notizen zu Ella Raidels Film “A Pile of Ghosts” (70min, 2021)

Ella Raidels A Pile of Ghosts ist Teil des kunstbasierten Forschungsprojektes Of Haunted Spaces, das sich mit so genannten chinesischen Geisterstädten und ähnlichen Phänomenen befasst: leer stehende urbane Siedlungen, aufgegebene Vergnügungsparks, die nie eröffnet wurden, riesige Museen und Kulturzentren, die vermutlich nie Besucher sehen werden. Der Film ist keine Dokumentation, grenzt sich vielmehr vom Konzept des Dokumentarfilms ab. Im Anschluss an eine Vorführung im Wiener Filmmuseum vor ein paar Wochen wurde ein Zoom-Interview gezeigt, das Andreas Ungerböck mit Raidel führte, worin sie Ästhetisierung, Inszenierung und Performanz hervorhob und sich von einem (vielleicht zum Zweck der Gegenüberstellung etwas holzschnittartig gezeichneten) realistischen Dokumentarfilmansatz distanzierte.

Der Film beginnt mit Fahrten durch ikonische fremde Kulturdenkmäler, die in China nachgebaut wurden: der Eiffelturm, Pariser Szenen, eine in einem Niemandsland im Bau befindliche Sphinx. Irgendwo mitten in China werden Weltwunder nachgebaut. Der Film beschäftigt sich — wie ich finde — leider nicht mit der Vorstellung von Welt, die hinter diesen auf den ersten Blick wahnwitzigen Projekten stehen könnte, sondern verfolgt diese und andere Bauten als Orte, durch die der Geist des globalen Kapitalismus spukt. Wir bereisen aus dem Boden gestampften Immobilienprojekte, riesige Areale aus Hochhäusern, denen hastig eine Infrastruktur beigegeben wird — U-Bahn, Malls, Straßen, Vergnügungsparks. Massen an Wohnungen werden gebaut, die dann beworben und verkauft werden müssen; hiezu inszeniert Raidel Verkaufsgespräche vor Green screens. In einem anderen inszenierten Gespräch spricht eine Schauspielerin vor; sie zieht Parallelen zwischen Immobilienverkauf und Schauspiel.

In das Zentrum des Films gerät die faszinierende Figur von Charles, einem jungen Mann, der das 1984 eröffnete “Swallow Hotel” in Chongqing geführt hat. Das Hotel ist eine abbruchreife Ruine, die er in einer Umgebung rasanter Immobilienentwicklung und Bautätigkeit aufrechterhält: Der Rahmen und die Fassade stehen noch, einige Räume sind benützbar und bewohnbar; an anderen Stellen fehlen Geschoßdecken, Fenster und Außenwände. Der Film fiktionalisiert eine junge Frau daher, die dort ein Zimmer reserviert hat. Sie spaziert mit Charles, der sich in gepflegten Anzügen mit Pelzkrägen als Dandy inszeniert, durch die Ruine, durch Baustellen, mit ihm im kuscheligen Wohnzimmer sitzt und im Fernsehapparat den amerikanischen Film “Waterloo Bridge” (1940) sieht, mit ihm Schauwohnungen in einem dieser Immobilienprojekte besichtigt.

Charles ist als Kunstfigur faszinierend; er nimmt selbst bereits eine eigentümliche Ästhetisierung der Situation vor und nützt die durch den Film gebotene Gelegenheit zur spielerischen Performanz gerne (bis hin zu seltsamen Tänzen in Bauarbeiterkleidung in einem Markt). Mitunter fragt man sich, wer macht den Film hier eigentlich, und das ist eine feine Sache. Man hätte über und mit Charles gut einen ganzen Film machen können; mir hätte das völlig gereicht. Dass dazu noch eine Geschichte kommt, in der eine fiktive junge Frau im Spannungsfeld zwischen verfallendem Hotel und neu gebauten “Geisterwohnungen” Gesten einer romantischen Beziehung vorführt, als verzerrte Spiegelung von “Waterloo Bridge”, nun, das hätte es gar nicht gebraucht. Oder ich hätte es nicht gebraucht.

Charles gerät in das Zentrum des Films, meine ich, und das meine ich so — mir scheint, das passiert dem Film fast irgendwie, und das finde ich nicht ganz glücklich (wiewohl ich es andererseits als totalen Kontrollverlust der Filmemacherin gut gefunden hätte). Da sind recht viele und in sich spannende Ideen, wie man die Lebenswelten (oder Gerade-nicht-Lebenswelten) dieser Orte performativ umsetzen kann. Mir waren es zu viele, die nicht ineinander griffen, und nicht ganz zueinander passten; der Film schien mir in seine eigenen Ideen von Performanz etwas zu sehr verliebt und zu wenig darum bemüht, einen Strang zu flechten. Dazu hätte es vielleicht auch ein etwas stringenteres Konzept davon gebraucht, was nun eigentlich Geister sind, wozu wir sie brauchen, und was ihre Präsenz mit uns anrichtet. Der Begriff der “Geisterstadt”, der für aus dem Boden gestampfte Immobilienprojekte (nicht nur in China) oft verwendt wird, ist ja unpräzise, weil er ursprünglich eine aufgegebene und verlassene menschliche Siedlung bezeichnet. Zumindest einige der solchen Siedlungen in China sind aber für zukünftige Besiedlung in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren aus dem Boden gestampft — weniger Symbol für einen enthemmten Kapitalismus, sondern eher für eine zentralistisch durchgeführte Stadtplanung in einer Gesellschaft, deren quantitative Dimension sich der kleinräumigen europäischen Vorstellungswelt oft enzieht. Trotzdem, man könnte sich am Geisterbegriff entlanghangeln, in chinesische Mythologien gehen, warum auch nicht, wenn’s schon um China gehen soll.

Dann noch eine Fußnote zu “Waterloo Bridge”. Im Interview mit Ungerböck beschreibt Raidel dies als einen der ersten ausländischen Spielfilme, die unter Deng Xiaoping in China gezeigt werden durften. Tatsächlich dürfte dieses Melodram in China sehr bekannt sein. Der Film führt zu mehreren Schichten kultureller Transfer- und Adaptionsprozesse, die sich – wie so oft – nicht auf ein einzelnes Moment einer “Ost-West”-Begegnung reduzieren lassen. Dieser Seite entnehme ich, dass der Film schon bald nach der ersten chinesischen Vorführung im Herbst 1940 Anlass und Gegenstand der Ausbildung eines neuen Genres chinesischer Oper wurde, bald eine Mode in Shanghai. Glaubt man dem verlinkten Artikel, so gründete die Attraktion von “Waterloo Bridge” in der Deng-Xiaoping-Ära auch darin, dass der Film Anknüpfungen an eine präkommunistische urbane chinesische Moderne ermöglichte, einen Weg über die Brucherfahrung der Mao-Zeit hinweg wies. Das könnte auch heute relevant sein. Das inszenierte Dandytum von Charles wäre dann nicht einfach nur vor einer Ost-West-Folie jüngerer Jahre zu lesen, sondern evoziert Figuren aus der Shanghaier Zwischenkriegszeit, vielleicht. Mit dieser Vielschichtigkeit befasst sich Raidels Film nicht erkennbar, was ich schade finde; es schiene mir lohnend, solchen Spuren nachzugehen.

  Textile help