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- 23 10 2022 - 08:15 - katatonik

Matthieu Amalric: Zorn I, Zorn II

Stadtkino im Künstlerhaus, Viennale, 22.10. Matthieu Amalrics Langzeitdokumentation über John Zorn, davon die ersten zwei von bislang drei Filmen. Werden, so Amalric, ansonsten nur bei Zorns Konzerten gespielt, also eine seltene Gelegenheit. Zorn I (2016, 54 min) umfasst Material von 2010 bis 2016, Zorn II (2016, 59 min) von 2016 bis 2018.

Zorn, im Auto, Fahrten zu oder von Probeorten, Konzertorten, Aufnahmen von (mehr) Proben und (weniger) Konzerten. Spieltrieb, ein Musiker, der sich über neue Klänge wundert und für sie begeistert. Experimente, Aufnahmen von Geräuschen, Basteln an Instrumenten, Präparieren von Instrumenten, Säubern von Instrumenten. Zorn trifft andere Musiker*innen, er beredet Arrangements mit ihnen, hört ihnen zu, man sieht und hört, wie Musik entsteht und gemacht wird. Man sieht und hört, wie Musiker*innen dabei sprechen, und das Faszinierende ist, für Nichtmusiker*innen wie mich, wie sich diese geschichteten Prozesse verweben, wie viel da passiert, zwischen einfachen Zurufen, Blicken und Gelächter, zwischen angespannter Konzentration, energiegeladenem Spiel, Selbstvergessenheit und Selbstzurücknahme, ein Hin und ein Her, es ist eine Freude, das Einvernehmen, die Chiffren in den kleinen Gesprächen, die zu Vereinbarungen führen, wie was bei einem Konzert zu gestalten sei. Auch Amalric selbst darf übrigens vor die Kamera; er liest, dabei mit der Stimme experimentierend, französischen Text ab, ermuntert von Zorn, hie und da stärker reinzugehen. Zwischendrin immer wieder Zorns Gesicht, beim Zuhören, und das ist es: eigentlich sind dies Filme über das Zuhören, und es ist erstaunlich, wie spannend es sein kann, jemanden beim Zuhören zu beobachten. Mimik: diese offenen Augen, ein leises Lächeln, manchmal hebt sich die Braue, manchmal drückt sich ein Auge kritisch einen Hauch zusammen. Feedback: immer wieder Szenen, wo Zorn Musiker*innen zuhört und dann ihr Spiel kommentiert. Es beginnt immer mit Begeisterung und Lob, das mir aber nie unüberlegt erscheint, sondern immer sehr konkret Meriten des Spiels hervorhebt; ein Lob mit viel Bedacht. Dann kommen Punkte der Kritik, nüchtern, klar, dabei ermunternd — an dieser Stelle mehr Konzentration, da weniger stark mit dem Bogen reingehen (ein Großteil dieser Gespräche bezieht sich auf Proben zu Freud; zwei Celli und eine Violine).

Zorn I ist nahe dran am Sujet, unmittelbar, und gewinnt gerade daraus seine Stärke. Es wird nichts erklärt und erläutert, keine Distanz hergestellt. Zorn II arbeitet mehr mit Text, der eingeblendet wird, Aussagen von Zorn über sich, seine Arbeit, da wird eine Reflexionsebene hergestellt, die aber recht dezent bleibt. Zorn II ist generell mehr reflektierend; sehr stark Szenen, wie Zorn sich mit einer Orgel vertraut macht, ich habe vergessen (oder es kommt gar nicht vor), wo die Orgel stand, was der Zusammenhang war, aber es ging darum, sich mit Instrument und Raum vertraut zu machen, unter anderem mithilfe von Pappstreifen, die zwischen Tasten gesteckt werden, um sie zu fixieren. Das Beste, so Zorn, käme in solchen Momenten heraus, nie beim Konzert selbst, immer nur davor. (Am Ende des Films dann Szenen des Konzerts, die Kamera sieht Zorn kurz zu, verschwindet dann aber aus dem Konzertsaal, die Tür schließt sich.) Zorn II zeigt mehr den arbeitenden Komponisten, notierend, denkend, bei Abmischungen justierend, Filmmaterial sichtend.

Szenen der Frustration, der Enttäuschung, des Konfliktes, kommen in diesen Filmen nicht vor. Gestalterisch haben beide die Anmutung von improvisierten “home movies”. Ich halte das für kalkuliert, und zwar sehr charmant kalkuliert. Amalric, der bei der Aufführung anwesend war — und dem ich stundenlang zuhören und zuschauen könnte —, sagte einleitend (sinngemäß) “Please be nice, I did this all by myself, alone, with no others to help.” Das mag ein Understatement sein, aber man spürt beim Zusehen nicht weniger Sorgfalt im Umgang mit dem Material, als man im Film selbst sieht, im Umgang mit Musik. Jemand im Publikum meint, ihm wäre da bei einer gewissen Szene eine Zeitlupe aufgefallen in der Kamera, und Amalric sagt, ja, man hätte da nachträglich den Bildlauf verlangsamen müssen, um im Rhythmus der Musik zu bleiben. So sind die Filme: eine Unmittelbarkeit, Ergebnis von Geduld, Aufmerksamkeit und, ja, Liebe.

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