Unter Tönen und Leuten (aber nicht in Ulm)
Eigentlich wäre Ulm an diesem Wochenende auch ein place to be gewesen, denn dort gab’s mit Digital Wall eine audiovisuelle Installation der von mir sehr geschätzten Wittmann & Zeitblom (diesmal mit Liebert). Ich habe auf Insta einige Fotos und Videos gesehen und bin überzeugt, da was versäumt zu haben. Aber, hey, Wien war auch nicht schwach, denn hier wurde dem letztes Jahr vor seiner Zeit verstorbenen Peter Rehberg mit einer Konzertnacht im Rahmen der Wiener Festwochen gedacht. Es war mein erster Konzertbesuch seit Covid, auch nicht ganz ohne persönliche Pointe. Eigentlich hatte ich 2019 nach Jahren des sehr intensiven (zu intensiven) Arbeitslebens beschlossen, wieder mehr Konzerte zu besuchen. Tja, war dann halt nicht, wird aber hoffentlich.
Die Atmosphäre rund um Rehberg und das von ihm begründete Label Mego bekam ich ab 1999 mit, als ich nach einigen Jahren aus Japan nach Wien zurückkehrte, in eine veränderte Stadt. Da gab’s neue Leute mit neuen Tönen, vielleicht nicht alle so neu, wie die (zumeist) Jungs an den Laptops taten, aber der Enthusiasmus war beeindruckend. Einiges davon sprach mich an und tut es noch bzw. wieder. Es gab grandiose Erfahrungen; eine der besten war die gewissermaßen auf den Leib geschneiderte Beschallung durch Fennesz & Zeitblom in einem Isolationstank in der Wiener Sargfabrik im Rahmen des Festivals phonoTAKTIK (April 1999). Ich habe unlängt die davon gebrannte CD wiedergefunden und konnte sie sogar noch auslesen; sie ist freilich mehr Erinnerungsstück als Dokument, denn von der räumlichen und körperlichen Erfahrung transportiert der Tonträger nun einmal nichts.
Das ausdauernde, sorgfältige Bauen und Gestalten von Klängen in Verläufen und Räumen übt im ganzen Spektrum elektronischer Musik die nachhaltigste Faszination auf mich aus, das Weben von Klanggeflechten, das Verdichten und Transformieren, der Auf- und Umbau ganz besonderer Soundprofile. Fennesz habe ich zuletzt vor gut 20 Jahren live gehört, weiß gar nicht, warum so lange zwischendrin nicht; nun, ich war in anderen Ländern und Städten. And my mind was elsewhere. Sein Set gestern war umwerfend, atemberaubend, hat mich total begeistert, auch, aber nicht nur, wegen einer Strecke mit richtig schön bösen tiefen Bassrhythmen, die beim (auch heute) eher nicht so bewegungsaffinen Wiener Publikum immerhin ein gewisses Ausmaß tranceartiges Schütteln verursachte. Tarantella in Zeitlupe (sagte ich: Taranta? Ein altes Faible von mir, süditalienische Besessenheiten).
Das Set von KMRU (Joseph Kamaru) war dann länger und nicht minder begeisternd. Ich ertappte mich dabei beim Zuhören nach Worten zu suchen um zu beschreiben, was der Sound mit der Körpergrenze macht, denn ich fand, da macht er definitiv was, und zwar ordentlich. “Umschmeicheln” zu sanft, “Aufbohren” zu stark. Metapher für eine Berührung gesucht, die stärker und fordernder ist als ein einfaches Streichen, aber schwächer, rücksichtsvoller, interaktionsfordernder als hämmerndes Schlagen; ein Wort, das ästhetisch anspruchsvoller ist als “Kneten” und weniger gesundheitsfördernd als “Massieren”. Kaum, dass ich noch dachte, “durchdringend” oder “stechend” wär’s eigentlich nicht, aber doch schon irgendwie, begann sich schon das Soundprofil zu verändern, es wurde tatsächlich schärfer, also dann auch wirklich glaskantenscharf, schneidend. Tat aber doch nicht weh. Transformationen, die sich ankündigen, ohne sich anzukündigen. Große Sache. Mehr versuche ich von dem Sound gar nicht erst zu beschreiben, das ist hier ja kein Musikjournalismus. Man höre selbst; ich kann Fennesz oder KMRU freilich nur mit Kopfhörer hören, da bleibt wenigstens noch etwas von der ungemeinen Wirkung im Konzert, obwohl, ja, Konzert ist da wirklich unschlagbar (und, hey, Isolationstank any time!).
Das Publikum war, für mich überraschend, im Schnitt recht jung. Mego-artiger Sound zieht anscheinend nicht nur bei Veteran*innen, das ist fein. Ich traf wenige alte Bekannte, und das sollte mich eigentlich erleichtern, denn die, die nicht dort waren, waren eventuell die, die die Pandemie noch im Bewusstsein haben und auf ihre Gesundheit achten. Vor Ort – im Werk in den alten Stadtbahnbögen – war Pandemie eindeutig abgesagt. Als ich kam, sah ich eine junge Frau mit FFP2-Maske, eine einzige. Dann irgendwann im Lauf des Abends standen plötzlich diese Frau und noch ein Typ mit Maske neben mir; wir drei bildeten sozusagen eine FFP2-Insel. Es gab noch ein paar Vereinzelte mehr, aber doch wenige. Die Lüftung im Hauptkonzertraum war spürbar, und das Lokal hat Einiges in die Verbesserung der Lüftungsanlage investiert. Ob das ausreicht, wird ein PCR-Test in Bälde zeigen. Das Event hätte jedenfalls größere Räumlichkeiten verdient gehabt; es war alles recht eng und voll. Auch draußen staute sich alles. Entspanntes Rumstehen und Rumlungern war nicht wirklich. Mir war das psychisch nach zwei Jahren Pandemie bald zu viel, auch war ich nach den zwei Sets eh schon total durchsoundet, da ging dann nichts mehr. Die Nacht wurde also doch nicht so lang, wie sie hätte werden können, aber des passt scho.