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- 13 01 2024 - 17:35 - katatonik

Mitnehm- und Tagesabschlusshöhepunktkonzerte

Kein Fahrrad in diesen Jahresanfangstagen, da zu kalt und eisig; der Weg ins Schwimmbad zu Fuß, das geht in fünfzehn Minuten, unter anderem durch einen schneebestäubten leeren Park, die Verstrebungen der nihilistisch anmutenden Spielgeräte weiß nachgezeichnet. Im Becken der zu Jahresbeginn immer wiederkehrende Gutevorsatzschimmendenstau, das gibt sich im Februar wieder. Es gibt im übrigen bedeutend mehr zuvorkommende männliche Schwimmer als vor Jahren, was Positives. Die Testosteronmonster werden weniger. Die innere Hausärztin ruft dazu in Erinnerung, dass Testosteron ja auch sehr positive Wirkungen auf den Organismus und das Verhalten hätte, gerade bei Frauen; ich hätte in mehr als ausreichendem Maß davon, hatten der externen Hausärztin die Werte am Papier vor einigen Monaten gezeigt, übrigens. Seit diesem Befund frage ich mich gelegentlich, ob mich die Testosteronmonster deshalb so nerven, weil ich im Grunde eine von ihnen bin.

Manche Konzerte lassen sich am Heimweg gewissermaßen mitnehmen; die um 19 Uhr angesetzten Konzerte in der “Strengen Kammer” zum Beispiel, einem eher kleinen Nebenraum des Porgy & Bess, der experimentell und improvisatorisch bespielt wird. Sympathisch, familiär, nachgerade intim, für meinen Geschmack immer recht nah am Überfamiliären, aber das ist Wien, da ist man schnell in einem sich allzu dörflich anfühlenden Bereich. Es spielten diese Woche zum Beispiel Kenji Herbert (E-Gitarre), Vinicius Cajado (Kontrabass) und Lukas König (Schlagzeug). König und Cajado waren mir aus anderen Zusammenhängen bekannt, jeweils für sich genommen, Herbert hörte ich zum ersten Mal. Rhythmische, harmonische, treibende Instrumentalnummern, bei denen die Gitarre hörbar im Vordergrund stand. Spielfreude. Eh ok. Gelegentlich Solos zwischendurch mit Oha-Momenten. Ich weiß nicht, ob es am Überfamiliären lag, oder auch am Testosteron, dass mir das alles zu gefällig war, oder daran, dass ich gerade Cajado im letzten Jahr drei Mal mit Experimentalmusiker*innen gehört hatte, deren improvisierendes Zusammenwirken mit seinem Kontrabass sich explorativer anhörte. Die Exploration des Klangs, das vermisste ich hier. Mehr Spielen mit vorgefundenem Material als Gestaltung von Material durch Spiel, so in die Richtung hörte sich das an, if you get my drift.

Echoraumkonzerte sind eigentlich immer Tagesabschlusshöhepunktkonzerte. An dem einen Abend, später in der Woche, trockener, weniger Eis, fahrradtauglich, also an dem Abend drei Sets gebaut um Bernhard Hammer, einem Elektro Guzzi Fuzzi, womit ich diese Formulierung, die sich mir schon lang aufdrängt, nun tatsächlich hinkalauerte, da schau her. Sehr gut besucht übrigens, überraschend viele junge Leute da, naja, die Guzzis ziehen halt. Matija Schellander spielt sein Stück “Drill”: Weißes Rauschen aus der Konserve; Schellander ruckelt dazu an einem durch die Saiten des Kontrabasses gefädelten Bogen, während er das massive Instrument hält und gleichzeitig um es herumläuft, im Kreis, immer wieder, das Rauschen und den Bassklang durch die Bewegung filternd. (Ja, ihm wurde schwindelig dabei.) Der Kontrabass als menschlich angetriebene Bohrmaschine, das gefällt mir an diesem Bild, als Idee, als Performance.

Hammer und die Pianistin Anna Sophia Defant spielen gemeinsam Hammers Komposition “Reflektierende Echos”. Eine gewisse Sentimentalität, ausgehend von Hammers frühkindlicher Erfahrung, unter dem Flügel liegend auf seine Schläge und Rufe daran Antwort erwartet zu haben. Diese Erinnerungen würden sich in der Komposition als reflektierende Echos manifestieren, heißt es im Beipacktext. Die Idee des Rufens ins Klavier wurde mehrfach bemüht, ansonsten zahlreiche langsame und weich gespielte Klavierpassagen, also halt wirklich nix mit Testosteron. Berückend und berührend einige Stellen, an denen sich Hammers Laptop-Elektronik eng an den Klavierklang schmiegte, damit fein dissonante Flächen gestaltete.

Plauder- und Weinpause; dann Hammer und Schellander, einander in einer Art und Weise gegenübersitzend, dass man sie für Schach- oder andere Brettspieler halten könnte. Beide an den Reglern, vorgeführt werden bereits am Wege einer Tonbandmaschine bearbeitete und überschriebene, gemischte und mit Dub-Techniken verfeinerte elektronische Klänge, so wird das beschrieben. Das ergibt einen Sound warmer, jedoch trockener Elektronik, die ordentlich eskaliert, dabei von Hammers E-Gitarre unterstützt. Sonic derailment, das schätzt die Testosteronikerin.

Und dann war da noch die eine, mit der ich plauderte, und an ihr ging der andere vorbei, den ich so oft lachen sehe, ein freundlicher Mensch. Und sie lachten einander an, sich auf eine vorangegangene Unterhaltung berufend, einander anlachend, dass sie da noch anknüpfen müssten, und da knisterte etwas, was mir große Freude bereitete, dieses Knistern mitzuspüren. Und als ich dann das Lokal verließ, standen sie beide da, im Stiegenhaus, rauchten, ihre Gesichter so offen füreinander, ihre Körper einander näher, aber noch nicht so nah, wie ich vermutete — und für die beiden hoffte —, sie könnten einander in dieser Nacht noch kommen.

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