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- 28 12 2023 - 11:47 - katatonik

Es is so eine Schadheit in mir

Es geht immer, bis es nicht mehr geht. Dieses Jahr ging es lange, aber an dem einen Tag dann war es zu viel, als ich übermüdet das Fahrrad mit in die U-Bahn nahm, dann dort Massen an Menschen zustiegen, ein nicht näher geklärtes Ereignis das eine Gleis sperrte, die U-Bahn gefühlt Stunden erst in einer Station, dann zwischen zwei Stationen stand. Da ging es nicht mehr, da, ein Klaustrophobie-Anfall, wie schon länger nicht mehr, plötzlich die Menschenmenge stumm und bedrohlich. Da rief ich dann gegen die bei der nächsten Station einsteigenden Massen mit meinem Fahrrad aus dem Wagen “ich muss mit dem Fahrrad raus! Lassen Sie mich raus!” (ein Mann freundlich so “danke, dass Sie Platz machen”), trug das Fahrrad die Rolltreppe nach oben, wäre fast damit umgekippt, aber da war eine junge Frau, da war ein junger Mann, sie wollten helfen, sie halfen, ich bedankte mich, es war mir peinlich, es war mir nicht peinlich, so ist das, wenn es geht, bis es nicht mehr geht. Es kommen dann ein paar Tage der Regeneration, des Rückzugs, dann geht es wieder.

Can David Bowie be a language?

Es haben sich Traditionen eingeübt, es üben sich Traditionen ein. An den Feiertagen trinken die, die sonst keinen Schnaps trinken, miteinander guten Grappa. Es werden neue Grappagläser nach Bayern transportiert zu diesem Zweck, es wurden schon vor Monaten in Italien besondere Grappasorten akquiriert. Die einen kochen, die anderen kochen. Für das Steinpilzrisotto an dem einen Tag wurden in den örtlichen Wäldern, ebenfalls schon vor Monaten, Steinpilze gesammelt. Auch in diesem Jahr, das als schlechtestes Schwammerljahr seit Menschengedenken gilt, gab es immerhin noch genug dafür.

Während der Lockdownzeiten der letzten Jahre die Einübung in die Zubereitung von Rogan Josh, ein kaschmirisches Lammcurry, das während der Moghulzeit populär wurde, daher auch der persische Name. Nach einigen Versuchen kristallisierte sich dieses Rezept als für uns Bestes heraus. Es begab sich, dass ich es nun schon zum dritten Mal angelegentlich eines Feiertags in Bayern zubereitete, leicht abgewandelt, statt der vier Löffel tomato puree ein Löffel Tomatenmark und ein Glas der hier im Sommer selbst eingemachten Tomatensauce, auf Sahne verzichtet. Das Lammfleisch wird vorausschauend vorbestellt, es gibt ja fantastisches Lammfleisch in der Gegend.

Das Rogan Josh darf eineinhalb Stunden köcheln, nicht nur eine, wie es das Rezept vorschlägt, und die halbe Stunde macht in Sachen Weichheit des Fleisches und Würzigkeit der Sauce einen Riesenunterschied. Am nächsten Tag wird das Gericht gute 120 Kilometer über Autobahnen und Landstraßen gefahren, aufgewärmt, mit Joghurt, Koriander und gemörserten Fenchelsamen in Kontakt gebracht, und dann sind alle glücklich, auch wenn das, aus Gründen, gerade sehr schwer ist. Andere besorgen für diesen einen Tag Baumkuchen, da wird in der Umgebung eingehend recherchiert, nachtelefoniert, das ist keine einfache Sache; es gibt da Expertise von bewundernswertem Feinsinn in Sachen Konsistenz des Teiges und Geschmack. Diesmal sogar ein Baumkuchen mit Matcha-Ring; ich bin gerührt. Das Zulaufen all dieser vorsorglichen Besorgungen, Bestellungen, Sammlungen und Zubereitungen auf diese paar Tage; es ist einfach schön. Wir tun einander Gutes, wir tun einander gut. Darauf einen Grappa.

Repetition is a form of change

Das neue Album von Automat heißt Heat, es läuft hier seit September immer wieder; für mich ist es eher warmth, und in a good way. Eines von mehreren Alben, mit denen mich 2023 hoch geschätzte Musiker*innen überraschten, in denen musikalische Volten geschlagen wurden, die ich nicht erwartet hatte; they grew on me. Radian, Distorted Rooms, Deadbeat, Kübler-Ross Soliloquies. Angesichts der beiden Fennesz-Konzerte, die ich dieses Jahr gehört habe, erwarte ich von dessen nächstem Album auch sowas. Das ist fein.

Eigengrau

Schwanzmeisenschwärme, Distelfinkentrupps, Eichelhähergangs. In den (hier gottseidank nur moderat) überfluteten Feldern, den temporären Tümpeln, ungewöhnlich viele Kuhreiher, Graureiher. Ein Milan. Der nördliche Raubwürger ist auch wieder da. In dem einen Wald ein Moor mit Schwefelquelle, im anderen ein alter römischer Hafen, nahe eines Altarms der Donau. Dort ungewöhnlich viele Meisen, sogar Haubenmeisen, bis wir entdecken, dass es da eine Tierfütterungsstelle mit Körnchen gibt, und eine sattsam langsam fließende Quelle, mehr braucht die Meise nicht. Landstraßen, die wir noch nicht kannten.

Wenn man sich die Dinge zu lange offen hält, gibt es irgendwann keine Dinge mehr.

Schade, das Wort gefällt mir zunehmend als Haltung gegenüber Vergangenem. Grimms Wörterbuch erzählt dazu eine komplizierte Geschichte, die Beschädigung und Bedauern verbindet, und ich picke mir etwas von Zwischendrin heraus:

“jetzt sagt man ‘es ist schade’ als ausdruck des bedauerns, eigentlich es ist ein verlust, ein unglück, ein bedauernswerther umstand”.

Ich würde dieses Wort gern reservieren, habe es für mich reserviert, für einen Ausdruck des Bedauerns, der sich nicht die Haltung eines Vorwurfs anmaßt, weder an sich selbst noch an andere, ein Anerkennen von Realitäten aus einer Stimmung des Bedauerns heraus. Der Satz “Es is heut’ so eine Schadheit in mir”, gesprochen von der jungen Romy Schneider, oder auch von der Cissy Kraner. “Schadheit” ist schon in Wörterbüchern von 1830 in der Bedeutung “Schadhaftigkeit” belegt, und ich reklamiere im mindesten Doppeldeutigkeit: ja, da ist was schadhaft, und das ist bedauerlich, und nicht mehr.

Es gibt immer ein andererseits, in jede Richtung.

corporate Hirnederln

Wusstet ihr, dass Bully Herbig in einer Asterix-Verfilmung mitspielt?

Der japanische Protagonist in Wenders’ “Perfect Days” reinigt seine Tatami-Matten, indem er zerknülltes Zeitungspapier in Wasser (mit Reinigungsmittel?) tunkt und sie damit abreibt. Ich recherchiere dieser Reinigungsmethode erfolglos hinterher.

Stay, that’s what I meant to say.

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