Das Hearing und der Platypus
Es war ja nicht nur das Hearing, also das Antanzen der Projektgruppe, siebenköpfig, vor einer Jury und lokalen Repräsentant:innen, mehr als zwanzigköpfig all das; eine Stunde Zeit für eine Präsentation des Riesenprojektes und dann Diskussion. Es war ja auch noch das Nebenherleben, das Regeln von Dingen, Arbeitsverträge unterzeichnen und chinesische Kooperationspartner per E-Mail bespaßen, Besprechen von Handwerksvorbesuchen für spätere Handwerkerei am Dach, Schwimmen, und, begleitend zu all dem, das Packen für die Kanarenreise. Es hätte da auch noch das Schreiben geben sollen, aber das ging nicht mehr, das gab der Geist an Ruhe nicht mehr her. Er war schon ordentlich durcheinander, der Geist, oder sagen wir eher: die Nerven. Das lag defnitiv am Hearing, no shit, sherlock.
Unsereine ist ja keine Schauspielerin, zumindest nicht hauptsächlich; tatsächlich schließt Wissenschaft als Beruf sehr viele schauspielerische Elemente mit ein. Aber man ist bei Inszenierungen weniger routiniert als Regisseur:innen es wären, so, jedenfalls, wie ich mir Regisseur:innen vorstelle. Wo zur Hölle ist eigentlich mein Cybertool? In der siebenköpfigen Projektgruppe daher mitunter wenig Einstimmigkeit, wenn es darum geht, wie diese oder jene Stelle in der Präsentation wirkt; wir haben keine gemeinsamen Standards. Soll M. über ihre eigene Forschung sprechen? Ja, das ist doch super, authentisch, sagen die einen, nein, auf keinen Fall, sagen ein anderer und ich; wir stehen hier als das Leitungsgremium, wir stehen für ein größeres Team, jede:r muss zeigen, dass er oder sie das Große und Ganze im Blick hat, nicht nur den eigenen Bereich. Wann zum letzten Mal Wäsche waschen? Und wir stehen hier für die Jüngeren, die gemäß der Regularien des Ereignisses leider nicht dabei sein können. Wir müssen die zeigen, deren Köpfe, nicht (oder kaum) unsere eigenen, denn es geht schließlich um ein Zukunftskonzept. Wir müssen über deren Arbeit sprechen, und, ja, wir müssen uns darin einlesen, um dann auch Fragen beantworten zu können. Debate prep am Poolrand. Zwischendurch abends Wanderrouten planen und schon mal mit dem Busfahrplan auf der Insel abstimmen, so grob halt, damit man überhaupt weiß, ob man nach etwa sechs Stunden Wanderung noch einen Bus ins Hotel hat.
Anfangs der Woche ein leichter Panikanflug, wo anfangen, das richtige Wissen beim Hearing abrufbar zu machen, beim eigenen Teilprojekt, bei Methoden, bei Managementstrukturen; es schien plötzlich alles zu viel, und diese verdammte PowerPoint, für die ich zwar nicht zuständig, aber doch mitverantwortlich war. Kein ruhiger Gedanke möglich. Durchatmen, Tee trinken, auf und ab gehen, Stichwörter notieren, Situationsbeschreibung. Langsam spüren, wie aus Chaos Struktur wird. Gefühl von Handhabbarkeit. Letzte Generalprobe vor einer kleinen Kritiker:innengruppe. Viel besser, noch ein paar Tipps für Körpersprache, so weit sind wir also schon. (Und Komplimente für mich, geht runter wie Öl. “Ich könnte dir stundenlang zuhören” — riskier’s lieber nicht, werte Kollegin!)
Zuletzt so ein Hearing vor ziemlich genau 11 Jahren, damals mit einer weit größeren deutschen Gruppe aus Süddeutschland nach Berlin gereist (und danach mit meinem Restadrenalin der Casa Bjerg auf den Nerv gegangen). In Deutschland hat man mehr Erfahrung mit Inszenierungen dieser Art, man hat ja SFBs und Exzellenzcluster schon seit längerem; das ist stärker ritualisiert. Von der angenehmen Sonnencreme ist nur noch wenig da, aber die muss man bestellen, geht leider nur über den Bezosjeff, verdammt. Entsprechend detailgetreu damals die Inszenierung, und es war absolut selbstverständlich, dass das so sein muss: Wer sagt was, Frauen, Männer, ältere, jüngere, Rektor auch dabei, ethnic diversity, the whole game. Monatelang Treffen und Proben. Dossiers über die Panel-Mitglieder wurden zusammengestellt. Es gab auch genaue Vorabinformationen darüber, wie der Raum aussehen würde, vor allem die Sitzanordnung und die technische Ausstattung. Zufallsminimierung, Unfallsminimierung. Noch während der Anreise in der Bahn (wie so Schülerausflug nach Berlin) paukten einige Theorie und Methode; ich machte mich beliebt mit galligen Bemerkungen wie „was jetzt nicht im Hirn ist, bleibt bis morgen da eh nicht mehr hängen, was soll’s“. Ich hätte auch den Mund halten können und Nervositätsbewältigungsstrategie Nervositätsbewältigungsstrategie sein lassen können, aber ich kann halt den Mund nicht halten. Es war auch keine Gruppe, in der ich mich besonders gut aufgehoben fühlte. Menschlich weitgehend in Ordnung, aber meine Rolle im Gefüge zu fremdbestimmt, zu wenig Spielräume, zu enge Grenzen, zu viele, die sich als meine Chefs gerierten (Gendern überflüssig), obwohl sie es nicht waren. Zu wenig Übereinstimmung von Fremderwartungen (in großer Zahl und divergierend) und eigenen Vorstellungen. Es war aber auch keine Situation, in der ich Erfahrung hatte. Nie ohne Löffel reisen!
Damals der 27. Principal Investigator von links, heute im geplanten Direktorium des Unterfangens. Mehr Druck, aber wesentlich mehr Spielraum; das birgt noch Sprengstoff, aber es fühlt sich gerade passend an. Einiges von dem, was ich von der Hearing-Vorbereitung von vor 11 Jahren kannte, haben wir jetzt auch gemacht, eh klar, anderes haben wir verworfen (andere Baustelle). Natürlich informiert man sich über die Mitglieder der Jury, überlegt strategisch, wie man sich gegenüber einer Jury verhält, in der sehr wenige Geisteswissenschafter:innen vertreten sind. Subtile Positionierungen in geisteswissenschaftlichen Diskurskontexten, da brauchst dem Biowissenschaftler echt nicht damit kommen, vergiss es. Für einige Jurymitglieder und ihren fachlichen Hintergrund werden bits and pieces eingebaut, aber vorsichtig, es soll ja nicht nach Anbiederung aussehen und muss auch ins Gesamtkonzept passen. Sprechen wir im Sitzen oder Stehen, ich bin für Aufstehen beim Sprechen, andere sagen “zu theatralisch”, ich so: Theatralik gut, weil lebendig, die Typen haben vor uns schon zig andere Präsis gehört, die brauchen auch was fürs Auge, und wenn’s nur Stehaufmanderln und -weiberln sind. (Ich wurde überstimmt.) Ich muss den Platypus reinigen, aber erst einmal finden, und der Rucksack, hat noch Schweiß drin von der letzten Kanarenreise, und ich sag jetzt nicht, wann das war. Schau, die Wanderschuhe passen sogar noch! Wenige Tage vor dem Hearing noch Änderungen bei Technik und Raumanordnung. Es gab dann Ad-hoc-Mikrofonimprovisationen, die trotz hoher Nervosität sehr flüssig und glatt verliefen, also doch noch Stehaufmanderln und -weiberln. Die Gruppe flutschte; es war ein Vergnügen. Perfektion in der Präsentation ist ja so eine Sache. Zu glatt kann auch unangenehme Reaktionen evozieren (Stichwort inhaltsleerer Formalprofessionalismus; Briten gelten immer als besonders gut poliert, kommt nicht immer gut rüber), etwas germanisiertes Englisch schadet nicht; local colour. Es geht um die kleinen Fehler, aber die richtige Art von Fehler. Und welche dieser Apps hat jetzt das bessere Kartenmaterial der Insel? Bei der einen muss ich für Höhenlinien noch ein Premiumpaket freischalten, nein danke, sonst noch was.
Ich kenne meine eigenen Schwächen bei sowas mittlerweile sehr gut: die Tendenz zur monotonen Leier, gegen die Visualisierungen (in meinem Kopf) und bewusst einstudierte Pausen und Akzentsetzungen helfen, aber die Stimme auch nicht zu stark modulieren, das habe ich damals bei den zwei Sprechtrainings gelernt, die ich vor Jahrzehnten als Beginn einer dann doch nicht realisierten Radiojournalist:innenlaufbahn absolvierte. Der Hang zum dramatisierenden Witz (bei internationalen Jurys weglassen, zu riskant), die Neigung zum konfrontativen Argument in der Diskussion (sparsam dosiert einsetzen), das zu schnelle Sprechen, dann verhaspeln, weil der Kopf schon weiter im Text ist als die Sprechwerkzeuge (da hilft: proben, proben, proben, sonst: siehe einstudierte Pausen). Überhaupt: der Kopf immer so schnell, überspringt Argumentationsschritte, die anderen kommen nicht mehr mit, und dann entstehen diese „die ist total aus der Welt“-Wirkung und der Eindruck von Präpotenz (da hilft: Frage wiederholen zum Reinkommen, das verlangsamt den Denkfluss auf Normaltempo).
Ich kann Rampensau, aber bei Teamauftritten kann eine Rampensau sehr störend wirken. Gestern lief’s super, muss ich ganz unbescheiden sagen, die Dosierung passte. „You were regal“, flüsterte T. im Anschluss (ging runter wie Öl), die selbst etwas mehr Aufforderung zur Wortmeldung brauchen hätte können; sie sagt und schreibt immer so großartige Sachen. Das Adrenalin zischt jetzt langsam aus dem System, demnächst dann wieder Schlaf. Ob das Hearing ein Erfolg war, wird sich weisen; solche Entscheidungen werden ja auf Basis zahlreicher Faktoren getroffen. Es bleibt spannend, die nächsten paar Wochen. Ladekabel nicht vergessen, und ordentlich Matcha.