Nie über die Schmerzgrenze
Nichts verschwindet mehr, dabei verschwindet alles doch viel mehr.
Man fragt sich, was die Leute da draußen in der Stadt machen bei der Hitze, in der Sonne, sie müssen halt, so wie ich, bei manchen denkt man auch, sie wollen halt, hören die keine Nachrichten, wie gefährlich zu viel Bewegung bei Hitze, diese Kampfradler. Die meisten wirken so, als hätten sie kein Ziel, als könnten sie kein Ziel haben als aus der Sonne zu kommen oder ihr zu trotzen durch Kampfradeln. Aber nicht einmal das haben sie, es ist einfach weggebrannt, alles, was nach Ziel aussehen könnte. Leben rotiert, verlangsamt, zielenthoben. Zusammengewürfelte Ansammlungen von Menschen in Schattenzonen, oft vor Schulen, Stadtmöblierungen werden genutzt; hechelnde Dickfellhunde. Autos fahren; ich vergesse ja immer daran zu denken, dass darin Menschen sitzen, die irgendwohin wollen, es sind aus der Außensicht einfach nur bewegliche Blechdosen mit mehr oder weniger Lärm- und Schadstoffausstoß. Ich versuche, am Fahrrad, ihre mögliche Unberechenbarkeit zu berechnen, das ist eigentlich alles. Nein, gelegentlich gibt es Zuspitzungen einseitiger oder gegenseitiger Unfreundlichkeit, gelegentlich Gesten der Freundlichkeit, des Vorfahrtgewährens und des Vorfahrtempfangswürdigens. Nein, gelegentlich wundere ich mich über liebevoll polierte Blechdosen aus anderen Zeiten. Die anrüchige Vorstellung von Menschen, die ihre Blechdosen liebevoll polieren.
Woran liegt es, dass der Planet sich nicht wohlfühlt, obwohl es meiner Basilikumpflanze doch so gut geht?
Wie erleichtert ich war, als diese eine Familie beim Griechen das Lokal ohne zu bestellen wieder verließ. Menschen etwas dünklerer Hautfarbe von woanders, Touris, die aber deutsch sprachen und nach Calamari fragten. Zwei Männer, eine Frau, alle stattlich gebaut, die Frau mit einem kleinen Kind am Schoß, das mit dem Handy spielte, sehr laute Töne, schrill bis zur Unterträglichkeit, rasch wechselnde Tracks und Videos. Ich wechselte still den Tisch von dem ihnen am nächsten zu einem anderen, der möglichst weit weg war, wollte weder diskutieren noch brüskieren, aber man hörte den scharfen Ton des Mobiltelefonsounds auch dort noch. Dann ging die Truppe wieder, die Karte sagte ihnen nicht zu, obwohl da auch Calamari drauf waren.
Je leichter das Digital, umso fester klebt das Analog.
Wenn ich einmal Zeit habe, das Wort an mich zu richten, fällt mir nichts mehr ein.
Farben können zaghaft sein.
Der Physioknecht trägt jetzt auch Schnauzbart. Er ist sehr zufrieden mit dem bisherigen Verlauf des Heilungsprozesses. Man wisse zwar nicht genau, welche der Bänder tatsächlich beim Sturz verletzt wurden, und er vermutet, dass jenes auch, also nicht nur dieses, aber das sei nun letztlich auch egal; es müsse einfach vor sich hin geheilt werden, und das hätte es bislang sehr gut getan, und einfach weiter so, ja. Auch er kann sich nicht erklären, waum die Achillessehne des anderen Fußes wieder angeschwollen sei, hatten wir vor eineinhalb Jahren schon einmal, allerdings sei es nun viel weniger schlimm, erinnert sich der Physioknecht. Ich wisse ja noch, was zu tun sei: Vorderfuß nicht belasten, derzeit keine Dehnungen, Licht, Wärme, Mobilisierung, Massage. Infrarotlampe, Fuß drehen, kippen, und das gelte nun für beide Füße, trotz ihrer unterschiedlichen Erkrankungsbilder. Dabei nie über die Schmerzgrenze gehen, sagt der Physioknecht.
ORGAN2/ASLSP, das langsamste und längste Musikstück der Welt, wird 639 Jahre lang in Halberstadt aufgeführt. Die Aufführung dauert noch bis 2640. Sie begann am 5. September 2001, dem 89. Geburtstag von John Cage.
The past no longer helps the future.
Ich schreibe Texte, die geschrieben werden müssen, Gebrauchstexte einer bestimmten Art, Planungstexte hier, Ankündigungstexte dort, strategisch gedämpfte Lobpreisungstexte, Beschwerdetexte, die konstruktiv wirken sollen; es zermürbt. Zwischendurch kippe ich die Füße und wedle mit ihnen und kreise mit ihnen, weil ich das tun soll, es ist schon eine Marotte geworden. Auch in Konzerten hebe ich die Füße an und lasse sie kreisen, weil ich das tun soll, auch in Gastgärten, es wird jetzt mein Tick, sie werden sagen: Ja, die kenn ich, ist öfter da, das ist die Fußkreiserin, keine Ahnung, wie die heißt, aber es ist die Fußkreiserin, naja, verträglicher als Nasenbohren, wennst mich fragst.