Zerstückelt beschleunigt
Das Leih-E-Scooter-Wesen ist für gehtechnisch eingeschränkte Leute, zu denen ich mich nun (hoffentlich temporär) zählen darf, ein Segen. Ein ungeahntes neues Paralleluniversum zudem. Geschwindigkeit macht Spass, und es sind eh nie mehr als 25km/h, meistens weniger, mit dem Fahrrad wäre ich bergab jedenfalls schneller. Die Scooter von zwei Anbietern bremsen dich in Wohnstraßen konsequent runter, man sieht bei dem einen dann so ein hübsches oranges Schildkröten-Piktogramm am Bildschirm aufleuchten. Das kann aber sehr bescheuert sein, wenn dir nämlich plötzlich der Saft ausgeht, du stehen bleibst, und ein Radfahrer grad hinter dir ins Fluchen kommt. Ein Anbieter lässt dich in so genannten “roten Zonen” gar nicht mehr beschleunigen. Diese roten Zonen sind möglicherweise irgendwo präzise definiert, es hapert aber in der Umsetzung. Einerseits sind es solche, wo die Stadt Wien verbietet, Scooter abzustellen, dann aber umfassen sie auch Fahrradwege, die an den Grenzen der Parkverbotszonen vorbeiführen, erzeugen damit eine Situation, in der ich dort, wo ich fahren soll, nicht fahren kann. Schrödingers Scooter. Das System kommt mit der Kleinteiligkeit des Stadtraums nicht wirklich zurecht.
Die verschiedenen Anbieter sind auch unterschiedlich streng in der Implementierung der in Wien seit letztem Monat geltenden, restriktiven Abstellregeln: Der eine lässt dich in der App eine Scooter-Fahrt dort, wo du ihn nicht abstellen darfst, schon rein technisch überhaupt nicht beenden, der andere verlangt nur das Abstellfoto als Beleg, das bei allen Anbietern bei der Rückgabe gemacht werden muss, motzt aber nicht, wenn du zehn Zentimeter neben der Parkzone stehst. Und, natürlich: Der, der dich nicht beenden lässt, hat manchmal Zonen als Abstellverbotszonen definiert, die es eigentlich nicht sind (das ist aber nicht der Rotezonenwappler). Fahrradabstellanlagen zum Beispiel, die die App womöglich noch nicht kennt, weil neu, who knows (in Fahrradabstellanlagen darf man den Scooter grundsätzlich parken).
Ratespiele innerhalb der typischen Convenience-Überwachungs-Dialektik moderner vernetzter Leihsysteme: Du profitierst von der unkomplizierten Verfügbarkeit von etwas, das dir nicht gehört und das du auch nicht besitzen willst, musst dich aber darauf einstellen, dass das System deinen Gebrauch des Dings unter laufend geänderten Bedingungen neu gestaltet, eventuell einschränkt und auf jeden Fall überwacht — damit übrigens auch schädliches Verhalten wegregeln will. Zu etwas späterer Stunde lässt dich der eine Anbieter in der App einen kurzen Reaktionstest machen, um zu checken, ob du eh nicht besoffen bist. Nicht schlecht, aber, andererseits. Jedenfalls so oder so eine andere Art, sich in der Stadt zu bewegen, in Mikrogegegenden, wo ich sonst um diese Zeit nie bin — mit dem Handy in der Hand in der Dunkelheit auf der Suche nach dem reservierten Scooter bei den Somalis, die auch gegen Mitternacht noch auf der Straße bei der Kirche sitzen und palavern, wusste ich vorher nicht. Oder mitten in einen Park hinein, wo ein Scooter lässig an einem Brunnen abgelegt ist — oft die Frage, wie haben die Leute das geschafft, den hier abzustellen, weil eigentlich die App moppern müsste. Kann eigentlich nur sein, dass das Ding woanders stand, dort jemanden störte, der es dann dekorativ woanders ablegte. Oder Gespräche mit Migrakids, die unbedingt eine Runde mit “meinem” Scooter drehen wollen, bittebitte (“Burschi, geh’ lieber Fußball spielen, das is eh g’sünder”; der Knirps hatte einen Fußball in der Hand).
Ich verwende die Scooter, um Strecken zu überwinden, die mir zum Gehen zu lange sind: zwischen Gebäuden und Verkehrsmittelstationen, nicht für längere Strecken. Das Stehen strengt an mit der Zeit, die Balance auf den Dingern ist für längere Strecken zu fragil, die Dinger sind im Endeffekt auch teuer, und ich will eigentlich keinen Sturz riskieren oder keine Notbremsung, bei der ich ein eh schon mitgenommenes Haxerl unsanft auf den Asphalt bringen muss. Das wäre ja noch dümmer als der Sturz, der mir das Ganze eingebrockt hat (Mantel des Schweigens).
Wege fühlen sich beschleunigt zerstückelt an, wie die ganze Woche, eigentlich. Ein Sammelsurium an Herumadministriererei, eng getaktete Arbeit am Gewerke, das Wissenschaft ermöglicht, Arbeit an Prozessen und Rahmenbedingungen, nur recht peripher an Denkprozessen inhaltlicher Art. Ein vergleichendes Gutachten will geschrieben werden, das kostet im Endeffekt drei volle Tage und etwas Hinterkopfgerausche, was ich angesichts der Bedeutung (es geht um eine Professur auf Lebenszeit, sowas kann Großartiges bewirken oder Institute total ruinieren) eh wenig finde, aber in Zeiten sich drängender Erledigungsnotwendigkeiten dann doch wieder viel ist. Im Hintergrund läuft ein Handwerker mit Balkonbrettern vorbei, kugeliges Bäuchlein, nackter Oberkörper mit Brustwald, Western-Sonnenhut, denn hier wird renoviert.
Dabei werden, natürlich überraschend, Schäden im Untergrund entdeckt, weshalb andere Handwerker herbeigerufen werden und die Sache sondieren — und tatsächlich ein paar Tage später das Problem lösen, hallelujah, ein Hoch auf konstruktive Professionisten —, während ich dann schon bei der Zusammenstellung von Informationen für eine Sitzung eines wissenschaftlichen Beirats bin mit viel maskierter Selbstbeweihräucherung des Instituts, während ich neben der Handwerker-Betreuung über Zoom mit der Super Group Quelltexte lese, nachdem ich mit der einen Doktorandin einen Nachmittag lang “ihre” Quelltexte gelesen habe und bevor ich mich darüber freue, dass die andere ein hochkompetitives Stipendium bekommen hat (und mit dem dritten mitfiebere, ob er, auf der Warteliste, nächste Woche doch noch eins kriegt), und bevor die Projektgruppe bei einem Heurigen Fäden wieder aufgreift und weiterspinnt, die im Herbst dann enger verflochten werden sollen, und nachdem und bevor ich störrisch auf einem Leben und Lieben daneben beharre, weil, mich frisst dieser Betrieb nicht auf, das sag ich euch.
Ich schwimme, das geht ja knöcheltechnisch super, ich sitze am Rand einer Bühne und wippe zum treibenden Sound der sympathischen jungen Herren der austrotürkischen Formation Zack Zack Zack, die ein sehr gutes zweites Album präsentieren. Dann wieder plötzlich an diesem Ort vorbei, der manchmal leichte, manchmal schwere Erinnerungen weckt, an ein einziges Manchmal, das irgendwann keins mehr war, aus Gründen. Die Offenheit, die die Zeit versprochen hatte, erwies sich mit der Zeit als trügerisch; es kam anders und anderes. Die Musik, begeisternd, immer und immer wieder. I love your sound.
Kommentieren wollte ich eigentlich “ein einziges Mahnmal”, weil kluge Beobachtung von Alterserscheinung, doch da steht “ein einziges Manchmal”, die Alterserscheinung ist eher meinerseits.
kaltmamsell (Jun 18, 09:23 am) #