Und da war noch dieses Konzert
Und da war dieses Konzert, vor einigen Tagen, von der genreübergreifenden künstlerischen Produktionsgemeinschaft Studio Dan, es war eigentlich eine Aufnahmesession vor geplant wenig Publikum in den Westbahnstudios, einem Hinterhofstudio im 15. Bezirk, und wenn Studio Dan dort auftreten (letztes Jahr mit einer Aufführung gespeist von Xenakis’ Free Stochastic Music), dann gibt es auch gut ausgewählten Wein, gegen freie Spende, wie auch der Eintritt.
Es gab zwei Kompositionen, die eine eine gute Stunde lang von Axel Seidelmann (Walking through a Brave New World – 8 Improvisations (2008–14), 2020 uraufgeführt; die andere (“Hydra”, 2020) von Julia Purgina, ca. 30 Minuten. Ich tue mir immer noch schwer dabei, Neue Musik zu beschreiben, ja, es war atonal, aber man könnte hier bestimmt differenzierter darstellen, einordnen, verorten; ich nicht. Jedenfalls habe ich den Besuch nicht bereut und fand mich sehr feine Passagen hörend, dem Ensemble sehr gerne zusehend, sie hört ja nicht auf, diese Faszination am Zusammenspiel von analogen Instrumenten mit konzentriert herbeigeregelter Elektronik in einem Raum irgendwo zwischen Komposition und Improvisation.
Das Stück von Purgina stärker geerdet in der musikalischen Performanz, gibt dem Ensemble (und auch dem Hören) mehr Raum, kommt mir vor, als die teils nur angerissenen und enger an Botschaften geknüpften acht Teile der Seidelmann-Komposition. Es gefällt mir besser, dennoch behalte ich weniger davon in Erinnerung.
Seidelmann, geb. 1954, war persönlich anwesend und führte jedes der acht Stücke ein. Einerseits wünschte ich mir, er hätte es nicht getan, andererseits hat das Schmerzhafte daran schon auch gepasst. Da war viel Politik und Gesellschaftskritik drin, von einer Art, die sich auch schon lange her anfühlt, und bei Kompositionen, die bereits zum Zeitpunkt ihrer Komposition Vergangenes reflektierten, in einer Weise, die einer gewissen apokalyptischen Romantik nicht entbehrte: „Plutonium City“ (2008, Neufassung 2014), Nuklearbedrohung; „Lonely Hacker on a Data Highway“ (2009): antikes Modemgefiepse mit Weisstdunochfaktor und zarte elektronische Klangmanipulationen mit Klavierbegleitung (mein Favorit unter den Seidelmann-Stücken des Abends). „Plastic People“ (2013/14), ein Stück über unsere heutige menschliche Kommunikation mit Maschinen, mit Tonbandstimmen und Software, und wir wissen nicht, wer sie gemacht hat (meine innere Lakonikerin sagt: so what). „Megapolis Tower at Sunrise“ (2013), ein plakativer, fein instrumentierter Übergang von chinesischen Streicherharmonien zu einer Art amerikanisch-urbanistischer Sinfonie der Großstadt. Einführend gerahmt wurde dieses Stück, das ich sehr ansprechend fand, dann durch so einen Westen-Asien-Gegensatz; es fiel die Phrase „asiatischer Fleiß“, da hört’s bei mir auf. Am Ende mit „Keine Angst, Sie werden überwacht!“ (2012/17) eine hörspielartige Montagegeschichte über Sicherheit und Überwachung, das „Ma, oag!“-Prinzip der politisch motivierten Literatur. Mir ist das zu plump, ich hätte meine Intelligenz gerne gefordert, nicht einfach nur mein Gemüt durch Heischen nach Zustimmung auf der Basis recht simpler Kritikfolien angegriffen (Überwachung furchtbar, Technik bedrohend, Städte unheimlich). Nun gut, ich kann das alles leicht abtun und herumätzen, aber dieser Gestus langweilt halt auch mit der Zeit. Manchmal frage ich mich freilich, ob wir nicht in Zeiten leben, in der der Holzschnitt, politisch und ästhetisch, wieder seine Berechtigung gewinnt. Krisenhäufungen befördern Ausdrucksformen, die in weniger krisenhaften Zeiten geschulte Sensorien als peinlich empfinden.
Am Ende des Seidelmann-Stücks — es war ja eine Einspielung — mussten zwei Passagen wiederholt werden, das Ensemble war sich einig, dass da Fehler passiert waren. Die meisten Zuschauer:innen verließen den Raum, ein paar Herren und ich blieben sitzen, ich aus Neugier, sowas kriegt man ja selten mit. Bei zeitgenössischer Musik ist der Fehler in der Aufführung nicht so ohne weiteres zu erkennen, ich vermute, nicht einmal durch allgemeine Kennerschaft; zu wenige Muster und das Fehlen vorhersehbarer Harmonieverläufe. Möglicherweise könnten mit Kompositionstechnik vertraute Hörer:innen erkennen, dass der Bassist da nun aber bei Takt 43 einen Strich reingemacht hatte, der sicherlich zu früh dran war, denn so ginge das ja gar nicht. Jedenfalls: zwei nachzuspielende Stellen, an der einen Stelle gab es eine Doppelhand der Dirigentin, die einer nicht erwartet hatte, da sie in seiner Partitur nicht verzeichnet war, weswegen er den Einsatz falsch, das wird konstatiert, und dann geht es ans Wiederholen ab Takt 63, bei dem anderen Stück auch noch ab Takt 100, und das geht sofort und ohne Weiteres, ich staune und bin fasziniert, komme mir dabei aber blöd vor, denn mein Staunen kommt ja nur aus meinem mangelnden Einblick darin, wie verdammt gut eingespielt dieses Ensemble ist. Erst da, bei dieser vorgeführten Fehlerkorrektur, beginne ich über das Verhältnis von Komposition und Improvisation nachzudenken, aber dann ist eh schon Pause, und der Rosé war wirklich sehr gut.