Oberflächenspannung, zwischenmenschlich
Ich habe die zwei oft gemeinsam gesehen, immer vertraut, über die Jahre hinweg, so eine dieser Beziehungen, von denen man sich nicht vorstellen kann, es gibt sie nicht, von denen man sich auch nicht vorstellen kann, dass es in ihr Spannungen gibt, weil man sie nicht spürt, nicht an der Oberfläche jedenfalls, an der man einer Zweierbeziehung gegenüber ja immer bleibt so als Außenstehende. Dann, als ich sie nach langer Zeit letztes Jahr wieder traf, der Schock seines Todes. Eine schwere Erkrankung; es ging schnell, sehr schnell.
Tage, an denen sie nichts konnte, aber auch gar nichts. Aber dann doch schon auch Reisen mit Freundinnen, ein paar Tage Venedig, Essen mit uns. Sie war manchmal recht still, aber sie war da und aß und trank gerne und lachte mit. Vielleicht musste sie sich manchmal zwingen, das Haus zu verlassen, überhaupt irgend etwas zu tun. Aber man spürte jedenfalls Leben in ihr, nicht nur Trauer und Zwang; das war erleichternd. Ich sehe sie nicht oft, aber die Erleichterung wächst mit jedem Mal. Sie ist ja schon in Pension, sie hat Zeit. Sie fährt jetzt auf Wanderreisen, mit Unbekannten in Gruppen, auf Inseln, kleinere und größere, südlichere und nördlichere. Sie ist Expertin für etwas und geht auch wieder auf Konferenzen, überlegt auch ins Ausland zu Tagungen zu fahren. Sie hat das Blasinstrument wieder aufgenommen; eine der Bands, bei denen sie war, plant eine reunion. Sie übt, trifft Arrangements mit Nachbarinnen, die sich dadurch gestört fühlen. Sie trägt enge bunte kurze Kleider und sieht verdammt gut aus. Die Traurigkeit ist da, ich meine sie zu sehen, zu spüren. Man kann bunte kurze Kleider mit einer Haltung ehrlicher Traurigkeit tragen und fröhlich sein dabei; das kommt vor.
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Der Mann, mit dem sie fünfzehn Jahre verbracht hatte, nachdem sie der Mann, mit dem sie noch viel mehr Jahre verbracht hatte, verlassen hatte, also der Fünfzehnjahrmann sagte ihr eines Tages, er hätte eine andere und er würde sie, die Fünfzehnjahrfrau, nicht mehr lieben. Zack. Dann kein Gespräch mehr, nichts über Gründe und Bedeutungen, nur noch über praktische Notwendigkeiten; es gehört ihm ja immer noch das halbe Haus. Er, der sich erst so aktiv in die Erziehung ihrer Enkel eingebracht hatte – zu aktiv, sagten alle anderen, die das mit der Religion lieber nicht so betont gesehen hätten –, war plötzlich auch weg aus deren Leben, einfach so, zack. Auch aus dem gemeinsamen Freundeskreis weg, zack.
Sie sagt bitter „gegen eine Jüngere kannst nicht gewinnen“, und als ich nicht gleich antworte, korrigiert sie zu „gegen eine andere kannst nicht gewinnen“, und ich, die ich dem, aus Gründen, nicht zustimme (auch, weil ja oft gar nicht klar ist, ob es sich um Situationen handelt, in denen gewonnen werden kann), ich kann nur antworten, wie grausam das sein muss, wenn dir nach fünfzehn Jahren klar wird, dass du den, mit dem du sie geteilt hast, doch nicht kanntest.
Sie ist in Pension, lebt in einer Provinzstadt mit auf vergleichsweise kleiner Flamme köchelndem Kulturleben. Sie hilft jetzt dort im Theater aus, fährt mit dem Wohnmobil ein paar Tage auf den Balkan, mit dem verdammten gemeinsam gekauften Wohnmobil, das bisher immer nur er gefahren hat, aber sie hat es nun einmal und will es verdammt noch einmal genießen, auch wenn, ich sag’ dir, das Manövrieren und Einparken mit dem Ding, die Hölle. Sie entdeckt Wwoofing, wird im Herbst einmal für drei Wochen auf einen Biohof in Deutschland gehen, als Helferin, für Kost und Logis.
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Und da, auf diesem Fest, das wie immer so voller Freundlichkeit und Gelächter und Chaos ist, dann auch noch so eine Art Beziehungsdynamik zwischen zweien, von der man nicht so richtig weiss, was und wie, aber auch nicht nachfragt; es wirkt einfach kompliziert. Man schnappt Geschichten auf, da ist wohl etwas, aber man würde es nicht entdecken, gäbe es die Geschichten nicht. Da ist meistens Distanz zwischen den zweien, keine Körperlichkeit, keine Berührung. Sie suchen einander Nähe nicht. Erst spät am Lagerfeuer dann eine abtastende Unterhaltung über Sommerpläne, die so wie das Feuer manchmal knistert. Sie schlägt ihm eine Zeit der Gemeinsamkeit vor, so vorsichtig, als würde sie Angst haben, er würde sonst weglaufen, was er so absolut ja nicht einmal dann könnte, wenn er das wollte, denn sie arbeiten zusammen. Da gibt es Gruppenkontexte, schon lang, solche, die keine klaren Abgrenzungen von Arbeit und Privatheit kennen, das ist ja oft so in Musik und Theater.
Er nimmt ihren Vorschlag nicht gleich auf, den sie dann sofort abschwächt, herunterknistert auf eine Zeit der Gemeinsamkeit gern auch zu mehrt, also sie würde da nicht drauf bestehen, auf dem nur zu zweit. [Es tut weh, da zuzuhören.] Er lässt ihren Vorschlag schweben. Sie will eine Art von Klarheit, die er nicht herstellen kann oder mag, denke ich.
Er wolle das nicht mehr, hatte er vor ein paar Monaten zu mir gesagt, die nahe Zweisamkeit, das, was viele mit dem Wort „Beziehung“ belegen, es würde ihm reichen, davon hatte er im Leben einfach genug, er fühle sich dafür nun zu alt. Ich denke bei mir, vielleicht bist du einfach für Frauen zu alt, die zwanzig Jahre jünger sind als du, weil die immer von dir etwas wollen, was du nicht willst, weil du mit ihnen dann doch immer spürst, dass Alter ein Thema ist, was du eh schon so genug spürst, mit der depperten Verletzung von vor ein paar Monaten und der langsamen Rehabilitation, was dich jetzt deutlich stärker beschäftigt als vor ein paar Jahren, was jetzt Anpassungsverhalten verlangt (Motorräder verkaufen).
Vielleicht fällt es dir auch schwer, denke ich, anders an Frauen interessiert zu sein, an anderen Frauen interessiert zu sein als an auf offensichtliche Weise schönen und zumeist viel jüngeren Frauen, weil es in deiner Umgebung so viele von diesen Frauen gibt und so wenig andere. Aber was weiß ich schon von Männern über Sechzig.