Und dann
Und dann nach dem Schwimmen noch ins Rhiz, weil der Anton Tantner, den ich dann dort endlich einmal persönlich traf, auf Mastodon noch gemeint hat, dort gäbe es adäquat zeitgemäße Blasmusik zum 1. Mai, warum auch nicht, das Wetter war schön. Ich war zu spät dran für die Musik, die sehr schön gewesen sein soll, aber es gab noch Gastgarten und Schinkenkäsetoast und Musik und Leute, also Leute von überallher, es war echt komisch.
Und dann dort zufällig den getroffen, der vor langer Zeit die Geschichte von einem psychisch Kranken mit phänomenalem Gedächtnis erzählt hatte, der sich in Internetcafes Kreditkartennummern von irgendwem merkte und dann damit alles Mögliche bestellte, auch Flugzeuge auf Flughäfen. Leider lebt der Herr nicht mehr; er sei dann doch in die Psychiatrie gekommen, und mit so einer Krankheit wird man nicht leicht älter, unter Umständen auch gar nicht.
Und dann dort zufällig noch die zwei gesehen, die fast immer dort waren, so nächtliche Lokalbekanntschaften mit Herzlichkeit, die sich nie in Alltägliches übersetzen und das auch nicht müssen, und sie schauen exakt genauso aus wie vor 20 Jahren, gut, paar Falten mehr, aber sonst, irgendwie unheimlich.
Und dann viel über Musik gesprochen, man ist halt nicht die Einzige, die letztes Jahr dann doch wieder mehr auf Konzerte, und es sei so eine folkloristische Erfahrung, sagt der P., weil überall diese fremden Menschen und wenige, die man von früher noch kennen würde, also wirklich wenige, aber spannend, und wir kommen dann drauf, wir waren bei denselben Konzerten zum Teil, aber halt eben unter lauter fremden Menschen.
Und dann plaudern wir über Musik-Streaming, und wie viel man da entdeckt, und dass man so endlich diesen Schwanzlängenvergleich der Auskennertypen unterläuft, die immer so “wennst nicht ein ganzes Zimmer voller Vinyl daheim hast, kannst eh nicht mitreden”, und klar, Musikerentlohnung, und wir eh alle bei dem Dienst, der die Musiker*innen besser bezahlt als andere, und der P. hat sich die Modelle einmal vorrechnen lassen, und es wird fachsimpelig, und dann auch noch die Sache mit der Hifi-Qualität und Bluetooth und was gute Kopfhörer so ausmachen, und wie viel Klang heute reine Hochrechensache ist, und welche Musik auf diese Weise geht, und welche darunter leidet.
Und dann standen immer noch zwei, drei von diesen in schlecht sitzende schwarze Anzüge gekleideten Männern mit fluffigem Haar an der Bar, etwas angegraut mittlerweile, aber es waren exakt die gleichen wie vor 20 Jahren, leicht blasiert im Blick, aber andererseits, wer schaut an der Bar nicht leicht blasiert aus, man trainiert sich das Blasierte ja an in solchen Lokalen. Und reden tun die immer noch nicht, also nicht mit anderen, die nicht auf ihrem Blasiertheitslevel sind, und wer ist das schon.
Und dann aus verschiedenen Welten auf etwas gekommen, was nach demselben Schönen klingt, jedenfalls nach zwei G’spritzt’n. Der P. erzählt davon, wie Kids im Deutschunterricht in der Schule unter anderem aufgefordert werden, griechische Mythen aus anderer Perspektive zu erzählen, also etwa die Geschichte von Sisyphos aus der Sicht des Steins. Und natürlich würden dann Geschichten dabei herauskommen, die niemand mehr wiedererkennen kann, aber genau darum geht es ja mit dem Perspektivwechsel und der Empathie. Und ich erzähle, wie wichtig die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven einzunehmen, auch für eine Geschichtsschreibung ist, die eine globale Dimension haben will, weil so viele von den uns bekannten Narrativen aus einer sich für zentral haltenden Perspektive geschrieben wurde, die aber eben doch nur eine von vielen ist, und dann kommen alle immer gleich mit dem Gespenst des überbordenden Kulturrelativismus, aber so weit muss man doch nicht gehen, es geht ja eben um Empathie, das kann man tiefer hängen, und darauf geht noch einer.
Und dann noch draufgekommen, dass man Ex-Freunde oder Ex-Liebhaber, die Definitionen ja durchaus fluide, nach so ca. 20 Jahren jedenfalls gut und entspannt zufällig treffen kann, sich mit ihnen über allerlei Interessantes unterhalten und sich wohlfühlen dabei, weil, es hat ja schon einen Grund gehabt, warum man sich damals fand und warum man die Typen damals interessant und spannend und sympathisch fand und wasweißichnoch, und, nun, es hat auch so einen Grund gehabt, warum man sich dann irgendwann nicht mehr traf, aber der muss einen heute nicht mehr interessieren, und man hat jetzt ja ein Leben, das eh gut so ist, wie es ist, und man kann sich auf das Sympathische an den Menschen beschränken, das kann ganz leicht gehen, und es ist übrigens erstaunlich, woran man sich von Leben und Hintergrund der anderen noch erinnert, wirklich erstaunlich. Man ist halt nicht die Einzige, die ein Gedächtnis hat.