Kalt(t)räume
Nach einem Abend Ligeti-Hören Albträume, in denen einander Mitglieder einer Familie, bei der ich zu Gast bin, von weit oben in Dachschrägen angebrachten Balken erhängen. Le Grand Macabre my ass. Schöpferische Zerrüttung, diese Formulierung findet Google genau ein Mal im Internetz, und zwar in einem Begleittext zu einem Ligeti-Konzert.
In einem anderen Traum zog ich in eine Altbauwohnung, in der auch junge Menschen zu Gast waren; es scheint also fürs Unterbewusstsein gerade ein Ding zu sein, dass entweder ich wo zu Gast bin oder in den Räumen, die ich bewohne, andere zu Gast sind. Dort, also in der begästeten Altbauwohnung, schlief in einem der entfernteren Zimmer jemand, oder zumindest wusste ich, dass da einer schlief, den ich schon lange nicht gesehen hatte, und ich wagte es nicht mich weiterzubewegen, weil ich ihn nicht wecken wollte, nicht stören wollte, aber doch sehen. Ich hörte seinen Atem, sah ihn aber nicht, ging dann doch wieder; er brauchte doch seinen Schlaf, hatte ja viel zu tun. Keine Angst, ich weck dich nicht, bevor du nicht von selbst erwachst.
Zudem stellte sich heraus, dass G., der alte Wagnerianer, den ich realiter erst letzten Samstag im Schwimmbad getroffen habe, mein Nachbar war. Wir verglichen Kühlschrankinhalte und freuten uns. Ich kochte eine Art weißes Gemüse, die sich auf einer nicht enden wollenden heißen Platte immer zähflüssiger ausbreitete und die Konsistenz von labbrigem Käse annahm, dabei auch eine angrenzende Karottenfläche in einen zähflüssigen Brei verwandelte. Das lag wohl an der zuvor gesehenen Folge 2 der großartigen Serie “Reservation Dogs”, Staffel 2, in der zwei weggelaufene und dabei recht glücklose (indigenous american) Mädels von einer verbitterten Frau beherbergt werden, die von ihrem Mann verlassen wurde und ihnen eine zähe Spaghetti-Taco-Casserole serviert; sie fladern der Tante dann das Auto.
Immer noch hörend, seit fast einem Jahr, Daniel Johnston, To Go Home. Ich hörte diese Nummer jahrelang als Cover von M. Ward, das ich sehr mochte. Sie begleitete mich vor allem auf Flügen in Zeiten, in denen ich zu viel unterwegs war und vermittelte Heimeligkeitsgefühl auf Reisen. Seit ich zufällig das Original entdeckte, kann ich M. Ward nicht mehr hören. Der Text, mit dem ich mich bis letztes Jahr komischerweise nie befasste, ist verwirrend, verstörend in seiner Mischung von Emotionen, zieht in viele Richtungen gleichzeitig. Es geht darin überhaupt nicht um ein Zuhausesein. Vielmehr: gebrochene Sehnsucht, Reue, Klarsicht für begangene Fehler, innere und äußere Widersprüche. Man weiß es nicht so genau, und das ist gut so. Zugespitzte Sätze in zerlaufenden Kontexten, wie so Messer in den labbrigen Gemüsegerichten, von denen ich träumte. If I ever treated you mean / You know that it was only because / I was sorry I couldn’t have you for my own, das ist ja noch einigermaßen geradlinig, wenn auch schmerzhaft (Stichwort Klarsicht), wo wahr. Der Refrain Oh, I’ll be true to you / Oh yeah, you know I will / I’ll be true to you forever or until / I go home sehr spannungsvoll, und I have a deep respect for you / Usually reserved for the dead / Hanging on every word that you said, tja. Link zu den ganzen Lyrics.
In alten Texten gefundener Satz, der immer noch passt: Wien, wo der Sinn für Mögliches schwindet und der für Unausweichliches gern übertreibt.