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- 26 07 2023 - 06:47 - katatonik

Yashagaike / Demon Pond (Masahiro Shinoda, 1979; Werkstattkino München)

Masahiro Shinoda wird gerne zitiert mit dem Ziel “to take hold of the past and make it stand still so that I can examine it from different angles”, dabei den eigentlichen Zweck verfolgend, die Gegenwart besser zu verstehen. [Quelle, nicht geprüft: Audie Bock, Japanese Film Directors, Kodansha, Tokyo and New York, 1978.]

Sein Film “Demon Pond” (Yashagaike, 1979, 2021 restauriert) stellt sich von Beginn an in eine Vergangenheit und stellt eine perspektivische Dopplung her, eine Vergangenheit, die Vergangenheiten untersucht. Das Jahr 1933. Ein Zug, geführt von einer Dampflokomotive, fährt durch das Land, darin ein — aus der Sicht der 1970er Jahre — altertümlich als Naturforscher gekleideter Mann (gespielt von Tsutomu Yamazaki, den man als den hakennasigen Lastwagenfahrer Gorō aus “Tampopo” kennen könnte), der in Vorbereitung auf eine Studienreise in eine ihm unbekannte Gegend naturkundliche Bücher wälzt; getrocknete Pflanzen darin. Über eine schwingende Hängebrücke folgt ihm die Kamera, fasziniert von seinen Galoschen, in eine unwirtlich trockene Gegend, beobachtet ihn beim schrittweisen Leeren seines Wasservorrats in sichtlich kaum erträglicher Hitze. Er gelangt in ein Dorf, wo er einer ernsthaften Begräbnisprozession begegnet. Von einem Hügel ertönt das Läuten einer Glocke, eine dieser schweren japanischen Bronzeglocken, die man nur unter Anstrengungen mit einem schweren Holzstock zum Klingen bringt; die Prozession hält kurz inne und wendet den Blick nach oben.

Der Mann, ein Lehrer namens Yamazawa, betritt ein Dorfgasthaus, wo eine kleine Gruppe westlich gekleideter Herren lebhaft über die Legende des Seedrachens diskutiert, der am Grund des nahe gelegenen Sees weilen soll, des “Dämonensees” (das “yasha” im Titel des Films kommt von Sanskrit “yaksha”). Die Legende sagt, dass der Drachen durch regelmäßiges Tönen der Glocke davon abgehalten wird, eine katastrophale Flut zu verursachen, die das Dorf zerstören würde (das seit Jahren an Dürre leidet). Aberglaube, sagt der eine, nichts als Aberglaube. Yamazawa hat ein Staubkorn im Auge, er bittet um Hilfe. Die Kellnerin im Kimono hastet herbei. Er erwartet Wasser zum Spülen des Auges zu bekommen, doch sie packt unversehens ihre nackte Brust aus dem Kimono und ersucht ihn, sein Gesicht näher zu bringen. Er ist verblüfft, schockiert. Die Fremdheit der Vergangenheit, in die Differenz Stadt-Land projiziert. Es ist ein schönes Bild.

Am Hügel begegnet Yamazawa der schönen, ausgesucht sanften und geheimnisvollen Yuri, gespielt vom Onnagata Tamasaburo Sando. Sie kniet an einer Quelle, denn dort gibt es Wasser. Yuri und ihr Mann Akira haben sich verpflichtet, drei Mal täglich die Glocke ertönen zu lassen, und deshalb fließt eine Quelle, aus dem See gespeist, zu ihnen. Vergangenheiten, verschachtelt: Akira entpuppt sich überraschend als der einstmals beste Freund Yamazawas; er war drei Jahre zuvor aus Tokyo verschwunden, als er sich in diese entlegene Gegend aufmachte, um Legenden zu sammeln (der eine Freund wollte Legenden sammeln, der andere untersucht die Natur).

Nun, so sagt Akira einmal, wurde er selbst zur Legende, als er von einem alten, sterbenden Mann die Verpflichtung als Glockenhüter übernahm und dann blieb, weil er den Gedanken nicht ertragen konnte, dass auch die schöne Yuri ansonsten durch die Flut sterben würde. Soziale Verpflichtung (giri) in Spannung zu persönlichem Gefühl (ninjo), das spielt der Film mehrfach durch: die Liebe zwischen Akira und Yuri, die Verpflichtung seinen Eltern gegenüber, die Akira verletzte, die Verpflichtung dem Dorf gegenüber, die er übernahm, aber auch die Verpflichtung Akiras Yuri gegenüber, sie nicht alleine zu lassen. Dann ist da auch noch die Seeprinzessin Shirayuki, Geist einer Dorfbewohnerin, die sich dereinst unglücklich im See ertränkte – die Dorfgemeinschaft treibt junge Frauen ins Unglück, das wird ein Topos –, ihrerseits durch Treue zu ihren Vorfahren dazu verpflichtet, zum Schutze des Dorfes im See zu verbleiben. Freilich treibt sie ihr Begehren dazu, den See zu verlassen; es drängt sie zu ihrem Geliebten, Bewohner des Kengamine-Sees (um dorthin zu gelangen, müssste sie freilich die Glocke zerstören). Tamasaburo Sando spielt auch die Shirayuki, eine Verdopplung von Frauenfiguren, die eine die Vergangenheit (und gleichzeitig, angedeutet, auch die Zukunft) der anderen.


Stehen da auf der einen Seite Individuen, ob Mensch oder Geist, in der Spannung aus Giri und Ninjō, so stehen auf der anderen kalte, brutale Kollektive, sowie Autoritäten, die im Umgang mit den Bedrohungen der Gegenwart völlig versagen. Die Dorfgemeinschaft, zerrüttet von der Dürre, ein Pack, ein Mob, angestachelt durch den wohlgenährten Abgeordneten aus der Stadt in schwarzem Anzug, der als Wohltäter mit Reissäcken anreist und letztlich den Mob nach einem Menschenopfer an den Drachengott dürsten macht, damit er Regen gewähre; es ist natürlich am Ende die schöne, sanfte Yuri, die geopfert werden soll — von der ein Dörfler, der sie immer schon insgeheim schwitzend anspechtelte, behauptet, sie wäre gar kein Mensch, sondern eine Schlange. Und plötzlich glauben die skeptischen Dörfler auch an den Seedrachen, schau einer an, und dass Yuri als Schlange eventuell als Menschenopfer, für das man eine schöne Jungfrau baucht, nicht in Frage käme — nun, Kohärenz kümmert den Mob nicht mehr (es ist dann natürlich Yamazawa, der den Mob auf seine fehlende Logik hinweist, was den Mob freilich auch nicht kümmert). Auch die religiöse Autorität, präsent in Form des das Menschenopfer vorantreibenden Shinto-Priesters, macht sich mit der irrationalen Grausamkeit gemein. Yamazawa, in der folgenden dramatischen Auseinandersetzung die Stimme von Wissenschaft und Vernunft, gibt sich nach Angriffen des Shinto-Priesters übrigens als Angehöriger der buddhistischen Jodo-Shinshu-Schule zu erkennen, sodass die Spannungen zwischen Shinto und Buddhismus also auch noch in die Gemengelage einfließen. Das Dorf, es hat den Untergang jedenfalls verdient. An dieser Tradition ist nichts, das es zu retten gilt, außer die, Yuri und Shirayuki, die sie bereits marginalisiert hat.

Verschränkte Vergangenheiten, verschränkte Ästhetiken, verschränkte dramatische Konventionen als Mittel der Untersuchung. Der Film alterniert zwischen kammerspielartigem Realismus und den stark stilisierten Konventionen des Kabuki, letztere vor allem dort, wo er den Weg in die Geisterwelt beschreitet: Tierwesen, Karpfen und Krabben von Menschen gespielt und mit Attributen der Wildheit als Tiere maskiert. Eine Seewelt aus bizarren, mit Plastik und Glanzfolien verkleideten Gespinsten, in der die Shirayuki mit ihrer Entourage aus älteren Weisen, altmodisch gerüsteten Wächtern und jüngeren Gespielinnen weilt. Szenen stark stilisierter Ästhetik; ein Bruch im Film, auch sprachlich, allerdings mit seinem verfremdenden Formalismus theatralisch eigentlich moderner als das realistische Narrativ. Auch das Vorantreiben der Handlung durch die Spannung von Giri und Ninjō übrigens ein Stilelement des Kabuki. [Der Film basiert übrigens auf einem Kabuki-Drama des Autors Izumi Kyōka (1878—1939). Und Takashi Miike hat übrigens eine Theateraufführung des Stücks verfilmt (“Yashagaike”, 2005).] Dann auch noch Einsprengsel und Dialoge mit derberer Volkstheaterkomik. Shinoda arbeitete übrigens viel mit dem Komponisten Toru Takemitsu zusammen, hier (leider) nicht; der Soundtrack mit seinem waberndem Synth-Ton (Farfisa?) verleiht dem Film eine Zeitlichkeit der eher unangenehmen Art. Es gibt auch eine ziemlich grauenhafte Synth-Version von Mussorgskis “Hütte der Baba-Jaga” im Plastikreich der Seeprinzessin, nicht jede Verfremdung gelingt.



Diesen Film heute zu sehen, während die griechische Insel Rhodos gerade verbrennt, motiviert dazu, das Katastrophale und den drohenden Untergang (durch Trockenheit oder Überflutung, choose your apocalypse) verstärkt wahrzunehmen. Es gibt da freilich noch sehr viele andere, auch historisch spannende Dimensionen, die man auch anhand von Motiven im Werk des Autors Izumi weiter verfolgen könnte (1 | 2). Der Film ist jedenfalls im Ergebnis (erzählerisch erfreulich) schonungslos. Yuri tötet sich im Vorfeld selbst, Akira gibt darob die Glocke auf, die Flut bricht über das Dorf herein. Yamazawa, der Vernünftige, überlebt, um am Ende Zeuge zu werden, wie die Prinzessin Shirayuki — durch die Flut aus dem See befreit — mit ihrer Entourage glücklich den See verlässt und sich in Richtung ihres Geliebten bewegt. Dass sie ihr ersehntes Ziel erreicht, weibliches Begehren also zur Abwechslung einmal erfüllt wird, ist eine durchaus sympathische Note.

Gesehen habe ich “Demon Pond” im Münchner Werkstattkino, das schon so oft in diversen Umfeldern erwähnt worden war (und das ich schändlicherweise erst jetzt zum ersten Mal besuchte). Ein kleines, mittlerweile sehr gut klimatisiertes Kino, und, wie mich dann später andere fragen, die es besser kennen, ja, es ist immer noch so, dass man ein bisserl in einem Vorraum wartet, bis ein Typ mit einer Kiste voller Getränkeflaschen und einer Kasse unterm Arm daherkommt, sich an einen Holztisch setzt und wohlfeile Karten, Spezis und Tannenzäpfle und dergleichen darbietet. Vor dem Film wurde angenehme elektronische Musik gespielt, sonst nichts.

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