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- 16 07 2023 - 08:53 - katatonik

Seeschlachtvorbereitungsphasen mit Fragezeichen (München)

Dass schon wieder ein österreichischer Hallodri deutsche Innenstädte zerstört.

München, Universitätsviertel, kaum noch Buchhandlungen, verstaubte Schaufenster von Antiquariaten, die verzogen sind, durch Lokale ersetzt, Bars mit so Phrasen im Namen wie “Clean Food & Dirty Drinks”, haha. Läden voller Krimskrams und Niedlichkeit. Ich fühle mich an Areale rund um US-Universitätscampusse erinnert, Berkeley zum Beispiel, unmittelbar rund um den Campus nur Läden, die die Jugend der Studierenden zelebrieren, die Ausgelassenheit fordern, Konsumdrang beflügeln (zwischendrin vereinzelt noch Interessanteres).

Ich bilde mir ein, die Umgebung der Universität Wien vermittelte mir während meiner Studienzeit etwas anderes, eine Art von Ernsthaftigkeit und Weite, ein Raum gewordener Wissensdrang, der sagte: Hier, lern was, lies, erwirb Wissen, erwirb Techniken des Wissenserwerbs, erweitere, durchdringe, stelle in Frage, und wenn du das durch stundenlanges Abhängen in Cafés tun möchtest, oder auch in Kaschemmen, bis die Sonne wieder aufgeht, ist auch das Teil des Ganzen, mach nur, blas dir dabei was rein ins Hirn, und wenn du dir vom Hirn was wegbläst, tja, deine Entscheidung. Ist das jetzt auch schon eine falsche Erinnerung? Wahrscheinlich, denn es war auch ein monumentaler Raum, einer, der auch sagte: Erzittere, du Wurmmädel, eine wie du hat hier eigentlich nichts zu suchen.

Verschiebungen, Wandern von Funktionen ins Digitale, in das in der Stadt nicht mehr Sichtbare, vielleicht, aber auch: das Aufgeben der Stadt als Raum, den eine Universität prägen kann, oder wenn sie ihn prägt, dann nur noch als Lebensabschnitt, als Stadium der äußerlichen Ausgelassenheit (was natürlich Chimäre ist, denn de facto ist das Studierendenleben so durchreguliert wie nur was).


Der Lepanto-Zyklus von Cy Twombly (2001), im eigens dafür entworfenen Raum in der Sammlung Brandhorst. Oft besucht, immer wieder, diesmal an einem besonders heißen Tag, das Museum gut gekühlt. Ich liebe dieses Gebäude, im Obergeschoß diese Eckfenster, wenn man aus ihnen auf die Umgebung blickt, wird die Umgebung zu etwas, das man anblickt wie etwas Gestaltetes.

Der Lepanto-Zyklus also. Das Blau und Türkis stehen für das Meer und auch für den Himmel, ja, aber bei Rot und Gelb, da fängt es an kompliziert zu werden, das Rot und Gelb der Feuer, der brennenden Schiffe, ja, aber dann auch das Rot des Blutes, das alles geworfen auf die Leinwand, herabgeronnen auf der Leinwand, explosiv, Inferno. Schiffe, die Wunden sind, Wunden, die Schiffe sind. Seeschlacht, abstrahiert; Schlachten als wechselseitige Übereinkunft, man muss sich ja darauf einlassen, gemeinsam aufzulaufen, so als Kriegspartei, als wechselseitige Übereinkunft, zu einander Vernichtung anzutreten, das bedeutet, es gibt ein Vorab, eine Situation des auf ein Inferno Zusteuerns, sowas kann dauern, unter der gleißenden Sonne im Golf von Korinth. Striche, angedeutete Boote, die elegante, goldglitzernde osmanische Flotte, an nur einem Tag von der christlichen Allianz vernichtet, am 7.10.1571.



Rei Naito, geboren 1961 in Hiroshima, die Installation breath in der Pinakothek der Moderne, noch bis 13.8.2023.

“What does it signify when colour, here a metaphor for our joy in life, returns? How to deal with this new lust for life, after the world has held its breath for two years and life almost came to a standstill?”

Eine fragile Ausstellung, so fragil und delikat wie ein Hauch, wie eine Wasseroberfläche; Beides kommt vor, der Atem soll wieder fließen und dabei unter anderem auf Wasser treffen. Nur vier Personen dürfen sich gleichzeitig in der Ausstellung aufhalten, die man durch einen Gang betritt, gesäumt von großen, weißen, in die Wand eingelassenen Vitrinen. In jeder Vitrine ein kleines transparentes Plastikkissen, der Geist von jemandem, der verstorben ist an dieser Seuche.

Als ich die Räumlichkeiten betrete, meine ich kurz beim Anblick der Museumswächterin eine Sehstörung zu haben; ein weißer senkrechter Strich läuft durch ihre marinblaue Gestalt. Am Ende stellt sich heraus: nein, es war keine Störung, es war ein einzelner Seidenfaden, der von der hohen Decke herabhängt, Teil der Ausstellung. Aquarelle, die aus teils geschichteten Spuren von Farben bestehen, minimalistische Andeutungen und Überbleibsel, winzige Metallkugeln, die an Fäden von der Decke hängen, kleine Spiegellinsen hier und dort eingebaut. Man findet sie nicht ohne Anleitung. Ein offenes Schraubglas bis zum Rand mit Wasser gefüllt; es steht am Boden eines umgekehrten Schraubglases, das am Boden des Raumes steht. Das Wasser verdunstet, so liest man, es wechselt nur Aggregatszustände, es verschwindet nicht. Ein Wächter steht daneben, das muss er auch, man würde die fragile Transparenz sonst zu leicht zertrampeln.






Ich gehe auf sonnigen Flächen. “Sonnig” ist nicht mehr das passende Wort, “sonnenverbrannt” trifft es auch nicht, die Sonne braucht neue Komposita in diesen Zeiten. Sonnenüberhitzt, naja, überhitzt tut’s auch, aber alles, was ein über ein normales Maß Hinausgehendes bezeichnet, läuft in Gefahr, schon nächstes Jahr Geschichte zu sein, so sind die Zeiten. Seeschlachtvorbereitungsphasen?

Mein Kopf durch den Strohhut einigermaßen beschützt, im Ohr perlt Laraaji, Dance #2, ein immersives Hitzeeerlebnis. Fotos von Städten zeigen viel zu viel Vertikale, zu viel Fassade. Sie blenden gern die Fläche aus, die vor einer liegt, Asphalt, Pflastersteine, darüber vibrierende heiße Luft.

Raumordnungen, überlagern sich in Städten ja ständig. Zu den ererbten ständischen Ordnungen in europäischen Städten mit langer Geschichte, den Ordnungen von Zerstörung und Wiederaufbau, den auch schon seit längerer Zeit investorengetriebenen Ordnungen kommen vielleicht noch klimaschutzgetriebene hinzu: Bauen und Gestalten von Hitzeoasen, die Schaffung von kühlen Zwischenräumen. Aber nein, keine Ordnungen, eher Heftpflaster, es müssten sich ja Strukturen ändern, gegen jede Wahrscheinlichkeit, es wird lieb gemeinte und punktuell wirksame Kosmetik sein, Hitzeduschen, winzige Grünflecken, Kühlräume als Nachbarschaftszentren, die Gastronomie wird sicher auch noch die Sommerkühle forcieren. Das Gleichgewicht von Wasser und Luft, es braucht ein Klima, das es nicht mehr gibt. Rei Naitos delikater Raum beruht auf Prämissen, die schon Geschichte sind.

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