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- 5 03 2024 - 04:37 - katatonik

Leerstellen

Ein zusammengewürfeltes Hotel, eingeschoßig der Vorderbau, der Zwischenbau, dreigeschoßig die Hinterbauten, ein japanisch gestalteter Zwischengarten mit unjapanischer Hochsprudelanlage im Teich (keine Fische), über dem Kolibris flirren. Auf der einen Seite des Hotels das Arboretum der reichen Universität Stanford, die im übrigen eine eigene Stadt ist, auf der anderen der Ort Palo Alto; in den digitalen Stadtplänen viele bekannte Namen von Tech-Unternehmen. Geschäftsgebäudeblöcke, zwischendrin flach gebaute Einkaufszentren, nicht wenige leerstehende Läden. Im Arboretum sehr viele Eukalyptusbäume. Ich lernte dereinst, dass Eukalyptusbäume sehr viel Wasser aus dem Boden zögen und daher schlecht umweltverträglich wären, gerade in Zeiten zunehmender Trockenheit, aber das scheint nunmehr umstritten zu sein.

Ein Swimming Pool als Leerstelle im Zentrum des Hotels, 25 Yards. Einmal schwimme ich bereits um 05:30, noch im Dunkeln, bei annäherndem Vollmond, das beheizte Wasser dampft in der Morgenkälte. Burt Lancaster schwamm sich als Ned Merrill durch die Pools des reichen, Parties feiernden, bröckelnden Kaliforniens. Um diesen Hotelpool herum werden Geschäfte getrieben, online, offline; Menschen erholen sich zwischen Geschäftsterminen. Im Verlauf einer knappen Woche sehe ich ein Mal nachmittags einen Vater mit seinem kleinen Sohn (China) planschen, zwei Mal frühmorgens eine ältere Dame (weiß) kraulen. Der Pool als Leerstelle im Geschäftsgetriebe.

Schon beim Frühstück ungemein sorgfältig zurechtfrisierte, ondulierte, flächig geschminkte, manikürte, gebügelte, glattgestrichene Frauen in Business-Kostümen, durchtrainierte Männer in dazu passenden Anzügen (ist Slim Fit in den USA tatsächlich weniger verbreitet als in Mitteleuropa?). Molligere Männer in Hosen und Hemden, die nach Versicherungsvertreter aussehen. Die eine oder andere Person in alternativem Reise-Outfit (Rucksack, kein Rollkoffer), eine Familie mit drei kleinen Kindern, was machen die hier, und warum? Sind sie wegen des family weekends der Universität da? Diesen Termin merkt man jedenfalls in den Restaurants; viele asiatische Familien, ich vermute Indien, ich vermute China, ich vermute Korea, ich vermute seltener Japan. Einmal, abends in der Hotelbar, eine Gruppe aus älteren und jüngeren Personen aus Indien, die starken indischen Großfamilien-Vibe haben. Alle scharen sich um den Pater Familias, vor allem die Männer. Die Frauen gehen irgendwann, alle. Es bleiben die Männer, alle, dann wird business gesprochen, aus welchen Investments man rausgehen sollte, in welche man reingehen sollte, mit wem man darüber sprechen sollte, wer darüber mit wem gesprochen hätte, sowas. Gespräche mit eindeutigen Gravitationszentren, personal, thematisch. Im Service, in den Küchen, beim Reinigen der Infrastruktur fast ausschließlich Latinos und Latinas, nur nicht im chinesischen Restaurant und an der Rezeption des Hotels.

Sonne, obszön viel Sonne; Wärme. Im Februar sollte das nicht sein, nicht in Nordkalifornien, wo es denn doch bedeutend kühler ist als im Süden. Es hätte viel geregnet in den letzten Wochen, sagt P., als er mich vom Flughafen abholt. Er zeigt auf die Hügel südlich von San Francisco: Sie wären alle grün, das sei sonst um diese Jahreszeit nicht mehr so, sei überhaupt selten so. Das Wasserreservoir, an dem wir vorbeifahren, dennoch auf eher niedrigem Stand. Es wird nicht mehr, sagt P., nüchtern. Einige Tage später wird A., der aus Berkeley vorbeikommt, en passant erzählen, sie hätten dort da ja schon vor Covid über Zoom unterrichtet, zu Zeiten, wo man wegen der von den Waldbränden verdorbenen Luft einfach unmöglich rauskonnte.

Der Hoover Tower am Stanforder Campus, 14 Stockwerke hoch, im 14. Stockwerk die Aussichtsplattform. Unten im Erdgeschoß eine permanente, sehr hagiografische Ausstellung über Herbert Hoover, den 31. Präsidenten der USA, der von 1929-33 im Amt war; er wird wegen seiner Haltung gepriesen, die Freiheit und Wohlstand predigte, als Vorvater Hayeks, als Fels in der Brandung des bedrohlichen Kommunismus (Fragmente der Berliner Mauer, Berlin-Kalter-Kriegs-Paraphernalia). Eine temporäre Ausstellung behandelt Watergate. Ich wäre da von mir aus nicht unbedingt hineingegangen, hätte mich nicht eine der zahlreichen, sehr bemühten Angestellten fast hineingeschubst. Mehrere ältere Männer und Frauen arbeiten da. Sie wissen schon: das Pensionssystem. Sie widmen sich den nicht besonders zahlreichen Besuchenden hingebungsvoll, erzählen viel und gerne, sind auch wahnsinnig gut informiert; ich höre ihnen gerne zu. Besonders gerne und ausführlich lasse ich mir über das Glockenspiel erzählen, oben, die insgesamt 48 Bronzeglocken, die 1941 zu Ehren von Herbert Hoover als Geschenk der Belgian-American Education Foundation hierher gelangten (Hoover hatte Belgien nach dem 1. Weltkrieg im Kampf gegen Hungersnöte geholfen). Carillon ist der Ausdruck, das ist ein schönes Wort. Es gibt einen designierten carilloneur, das ist aktuell Timothy Zerlang. Er spielt hier mitunter, nimmt auch apprentices an, sei dabei aber sehr wählerisch. Welche Stücke würde er denn spielen, frage ich, ja, also adaptierte Standards (am Notentisch kann ich “Morning has broken” erkennen), aber es gäbe auch eigens für das Glockenspiel komponierte Stücke (deren Komponisten nicht weithin bekannt wären). Ich möchte umgehend Kali Malone hier spielen hören. Es sind im übrigen nicht die Glocken, die schwingen (sie sind zu schwer), sondern die Schlegel, betätigt mit klaviaturartig arrangierten Hand- und Beinhebeln. Ich verlasse Stanford mit der Bahn, von einem Bahnhof, der so groß ist wie und weniger belebt als der von Neusiedl am See.

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