Go to content Go to navigation Go to search

- 23 10 2001 - 01:55 - katatonik

Und noch ein Film

Laurent Cantet, französischer Regisseur. Schon einmal einen seiner Filme hier erwähnt, jetzt nochmal. Damals “Les ressources humaines”, ein Film über Familie und Arbeit. Jetzt “l’emploi du temps”, auch ein Film über Familie und Arbeit. Damals eine Arbeiterfamilie, jetzt die Familie eines leitenden Angestellten.
Vincent, ein “consultant” in einer Firma aus Stahl und Glas, deren Mitarbeiter einander auf dieselbe holprige Weise mit Vornamen ansprechen wie Fernsehansager in den Hauptnachrichten, wird gekündigt. Er sagt es seiner Frau nicht. Er sagt es niemandem. Er fährt in der Gegend herum, schläft auf Rastplätzen – auch davor war er, wie es so heißt, im “Außendienst” -, erfindet Geschichten voller Geschäftigkeit.
Ein Heim aus Glas, Stahl, Ordnung, segmentierter Zeit und Lebensorganisation von drei Kindern und einer als Lehrerin arbeitenden Frau. Herzliche Kühle. Viel Liebe, der übliche Lärm der Kinder, aber eben viel Liebe, mit dezenter Unterkühlung demonstriert und zelebriert, deren Unaufdringlichkeit und Aufmerksamkeit anzieht, deren Kühle den Verdacht erweckt, da würde irgendwo eine dunkle Grube mit finstren Geheimnissen auf den nächstbesten Filmscheinwerfer warten. Aber nein. Wir sind ja nicht in den Siebzigern.
Einmal murmelt Vincent zu seiner Frau Myriel was von einem Jobwechsel in die Schweiz. Die Nachricht verbreitet sich bis zu Vincents wohlmeinend-besorgten Eltern, und bald findet sich Vincent in eine Geschichte seines bevorstehenden Berufs als Mitarbeiter einer UNO-Organisation in Genf gebettet, von der er vermutlich selbst nicht mehr weiß, ob er sie erfand.
Es passiert ihm so. Es passiert ihm, nach Genf zu fahren und einfach so in ein glasig-stählernes Firmengebäude hineinzuspazieren, sich eine Stunde lang irgendwo in einem Vorzimmer mit seinem Handy herumzuspielen, bevor ihn ein Sicherheitsbeamter mit erleichternder Höflichkeit nach draußen verweist. Ach, was eine Souveränität in den Umgangsformen.
Es passiert ihm, alte Freunde anzurufen und ihnen mit Geschichten von gewinnbringenden Investitionen Geld zu entlocken. Er kauft sich ein neues Auto. Vieles passiert ihm so. Bald beginnt er, für einen Hotelbesitzer zu arbeiten, einen älteren, durchtriebenen Herrn – der sympathischste Charakter des ganzen Filmes -, der falsche Uhren und T-Shirts und Schals aus Polen nach Frankreich schmuggelt. Aber auch das bleibt nicht lang.
Es reibt ihn auf, auch das passiert ihm: Kleine Momente, in denen fast Verzweiflung aufbricht. Aber sie bleibt ungezeigt und unausgesprochen. Man weiß nicht recht, was hier los ist, warum einer, der so gesetzt ist und dem ja auch von Kollegen ausreichend Hilfe angeboten wird, um einen neuen Job zu finden, sowas macht.
Die Geschichte fliegt auf. Aber im Film fliegt nichts auf. Keines dieser hyperexpliziten überdeutlichen Gefühlsdramen, wie man sie in Spielfilmen so oft sieht, wo jede Verletzung zuerst offenbar gemacht und dann offenbar geahndet werden muß. Auch keines jener Unterdrückungsdramen, wo die Verdrängung des Finstren mit jeder Minute demonstrierter Sprachlosigkeit deutlicher wird. Ein stilles, schmerzliches Zusammenbrechen; ein stilles, schmerzliches Zusammenhalten, wo Geld keine Schwierigkeit darstellt, weil der Vater Geldprobleme immer lösen kann, wo aber das bloße Auftauchen des Vaters in der schweren Krise Vincent dazu bringt, aus dem Fenster zu bringen und davonzufahren. Er bleibt nicht lange weg.
Am Ende sitzt Vincent in einem Büro. Er bewirbt sich für einen neuen Job, keinen schlechten nicht, eine Führungsposition, die ihm sein künftiger Arbeitgeber mit der abgeschmackten Vertrautheit von Managementpersonen in Schlagworte portioniert serviert. In Vincents Gesicht sieht man Angst. Er sagt ja. Er wird die verantwortungsvolle Position übernehmen.

  Textile help