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- 4 02 2002 - 03:00 - katatonik

warum auch nicht

“Wer nicht alles Glück verleugnen will, der müßte wohl sich überlegen, ob nicht trotz allem das Los der Sklaven, welche die Werke der gepriesenen ägyptischen Hochkultur schufen, oder auch noch das der mittelalterlichen Massen, ohne deren triste Existenz die gotischen Kathedralen nicht hätten gebaut werden können, schlimmer war, als das der Opfer von Kino und Fernsehen, die zu glorifizieren gewiß kein Anlaß ist.
Das Chaotische und Schreckhafte der gegenwärtigen technischen Zivilisation hat seinen Ursprung weder in deren Begriff noch etwa in der Technik an sich selbst, sondern die Technik hat in der modernen Gesellschaft eine spezifische Struktur und Stellung gewonnen, die zu den Bedürfnissen der Menschen in höchst gebrochenem Verhältnis steht. Nicht die Rationalisierung der Welt trägt Schuld an dem Unheil, sondern die Irrationalität dieser Rationalisierung. ... Der ökonomische Irrsinn, in den die Technik verflochten ist, keineswegs der technische Fortschritt selber bedroht den Geist und heute sogar die materielle Fortexistenz der Menschheit. Freilich werden mittlerweile die Menschen in einem solchen Maß vom Prozeß der Güterproduktion umklammert und geformt, daß es einigermaßen schwer fällt, den technischen Fortschritt – nun nicht zwar von der Zivilisation, wohl aber von der Verdummung zu trennen. Die Technik besitzt die Menschen nicht nur leiblich, sondern auch geistig; es gibt einen technologischen Schleier, so wie man in der Wirtschaftstheorie gelegentlich vom »Geldschleier« spricht. Der Traum der Zivilisierten heute ist so wenig die erlöste Welt wie das Schlaraffenland, wo jedem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, sondern die nächstbessere Wagenmarke, das nächstbessere »gadget«. Gegen solche irr verkehrte Ordnung der Ziele, der keiner ganz sich entziehen kann, hilft aber nicht die Rückkehr zur Kultur, die doch schimärisch bliebe, sondern einzig die Anstrengung, die Zivilisation positiv über sich hinauszutreiben. Hat einmal die Zivilisation so sich ausgebreitet und befreit, daß es keinen Hunger mehr auf der Erde gibt, dann wird sie das erfüllen, was alle Kultur bis heute vergebens nur versprach.”

Anno 1956, geschrieben am Institut für Sozialforschung.

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