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- 30 09 2001 - 23:16 - katatonik

heute im druck-gedächtnis

während des abendessens einen text der österreichischen schrifstellerin kathrin röggla gelesen, die sich während der attacken in new york aufhielt, noch aufhält. erschien in der letzten ausgabe des “falter”, nix online.
ein gut geschriebener, aber merkwürdiger text, weil er auf großen strecken beschreibt, was sich im fernsehen zeigte und in zeitungen gedruckt wurde, ohne dem allerdings literarisch oder gedanklich allzu viel hinzuzufügen. so dachte ich zumindest über der paprikasauce.
zwei splitter, die hängen blieben: röggla beobachtet, wie sehr die mediale rhetorik von politikern religiöser sprache ähnelt, nicht vorwiegend inhaltlich, sondern der geste der ständigen wiederholung und des eindringlichen predigens nach. als “jingoistic” beschreibt das jemand, mit dem sich röggla darüber unterhält. ich dachte schon, da hätte ich nun endlich ein treffliches wort für das religiöse im politischen gefunden, aber nein, es heißt nur “fanatically patriotic”. mein englisch-lieblingswörterbuch, das “collins cobuild english language dictionary”, weiß anschaulich:

“Something that is jingoistic shows enthusiastic and unreasonable belief in the superiority of a particular country; especially in support of a war against another country.”

nun ja. als zweiten splitter hat das gedächtnis hat ferner im ungefähren eine formulierung behalten wie “die amerikanische seele, die keinen plural kennt”.
dieselbe ausgabe des “falter” bot übrigens einen lesenswerten schwerpunkt “islam in wien”, in dem ein text von florian klenk über islamische intellektuelle in wien besonders besticht, will sagen, im gedächtnis blieb. wie findet man islamische intellektuelle in wien? nicht leicht, weil manche nicht reden wollen, weil sich der nachfrageweg journalistischer bekanntschaft (“sagens, kennen sie vielleicht islamische intellektuelle?”) oft im antwortlosen verliert. gefunden wurden denn doch einige, befragt noch zusätzlich einige islamwissenschaftler.
hängen geblieben: islamische religionslehrer fallen in österreich nicht in die ausländerquote, weswegen eine position als solche® vielfach angestrebt wird. österreichische behörden kümmern sich kaum um ausbildung und befähigung islamischer religionslehrer, was nach ansicht einiger interviewter dazu führt, dass oft die, die persönliche beziehungen zu funktionären in religionsgemeinschaften haben, lehrer werden, und nicht die, die’s können. österreichische beziehungsionitis umfaßt offenbar auch islamische gemeinschaften, und das ist ja auch nicht verwunderlich. der ottakringer moslem bezeichnet lästige individuen vermutlich auch häufiger als “g’frastsackl” als sein kreuzberger glaubensbruder.
hängen geblieben: klagen darüber, dass islamische intellektuelle sich nicht in ausreichendem maß kritisch mit den dogmen ihrer religion auseinandersetzen. klagen über isolierung, darüber, dass, wenn man als intellektueller in österreich nicht ernst genommen wird und immer nur als moslem behandelt wird, bald die lust an teihabe am intellektuellengeschäft vergeht. hauptsächlich klagen darüber, dass sich österreicher nicht für islamisches gedankengut interessieren, nichts darüber wissen. einer, der koranische stellen in bezug auf die steinigung von ehebrechern als gesetz gottes verteidigt, worauf der interviewer im kaffeehaus sagt “es fällt mir schwer, höflich zu bleiben”. fand ich als aussage schwer in ordnung. der interviewte schien auch kein problem damit zu haben.
eine islamwissenschaftlerin, die darauf drängt, auch koranstellen vor ihrem historischen hintergrund zu lesen, gleichzeitig aber auch auf das problem einer unterscheidung zwischen recht und religion in islamischen gesellschaften verweist: gerade weil religion und politik dort in einem höheren ausmaß ineinandergreifen, kommt koranstellen in politischen und religiösen diskursen anderer wert zu als etwa bibelstellen in westeuropäischen ländern. meint sie. ma l merken.
was mich an diesem text etwas störte und mich an sich immer wieder befremdet, ist die fixierung nichtislamischer fragesteller auf kopftücher. warum bezieht sich die erste frage des nichtmoslems an den moslem stets auf ein stück weiblicher kopfbekleidung? gibt’s nix wichtigeres? mit etwa 300.000 offiziell bekannten mitgliedern stellt die moslemische religionsgemeinschaft übrigens die zweitgrößte österreichs dar. der islam ist längst da und statistisch ein nicht unbedeutender teil dieser stadt, auch wenn das proponenten einer unrealistischen orient-okzident-dichotomie und kopftuchfetischisten nicht wahrhaben wollen. sonst noch in der welt?
”...Nicht alle illegalen Reisenden sind auf dem Weg zu einem besseren Leben in Europa. Am Busbahnhof in Richtung Balkan am Stadtrand von Istanbul versammeln sich immer wieder kleine Gruppen von Männern mit harten Gesichtern. Sie haben eigene Schlepper, die sie nach Skopje bringen, von wo es nicht mehr weit ist in das Kosovo und nach Zenica in Zentralbosnien. Dort werden sie auf ihren Einsatz in Westeuropa vorbereitet. Danach garantiert die albanische Mafia den Transport über die Adria nach Italien.
Europäischen Terrorfahndern ist Zenica seit Jahren ein Dorn im Auge. Wo immer sie auf islamische Extremisten stossen: Früher oder später führen die Spuren in die hässliche kleine Stadt. Islamische Fanatiker, die mit irischen Terroristen und der baskischen ETA gesehen wurden, kamen über Zenica.
...
Um das Waffenembargo gegen Bosnien zu umgehen – erneut gegen den Willen der Europäer -, riskierten die Vereinigten Staaten einen gefährlichen Alleingang. Präsident Bill Clinton wies am 27. April 1994 seinen Botschafter in Zagreb, Peter Galbraith, an, die kroatische Mittlerrolle bei iranischen Waffenlieferungen an Bosniens Muslime nicht zu behindern. Washington verlangte nur eine Kontrolle der gelieferten Waffen. Zusammen mit den Waffen kamen iranische Revolutionswächter und Afghanistan-Veteranen, die in das siebte bosnische Armeebataillon integriert wurden. Rekrutiert und finanziert wurden die 3500 Kämpfer über ein Büro in der bulgarischen Hauptstadt Sofia, das im Auftrag von Osama Bin Laden vom Ägypter Ayman al-Zawahiri geleitet wurde.”
(Quelle)
schönen abend noch.

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