Eine unterschätzte Literaturgattung
In ihrem literarischen Potenzial weithin unterschätzt ist die Interviewfrage im Print-Journalismus. Während sprachreformatorischen Bestrebungen von Journalisten bei der nachbearbeitenden Neuformulierung von Interviewantworten hohe Grenzen gesetzt sind – man will ja nicht gesagt bekommen “das hab ich nie gesagt” und darob vielleicht gar noch geklagt werden -, ist der Spielraum für Umgestaltung der Fragen erheblich weiter; nicht grenzenlos, freilich, denn irgendwie soll die Antwort ja doch zur Frage passen.
Ein interessantes Genre zwischen Ausdrucksdrang und Ausdrucksbegrenzung also, tief versunken im Morast zwischen Wirklichkeit und Fabrikation, Wahrheit und Vefälschung.
So würde ich etwa behaupten wollen, die kursive Phrase aus diesem heute erschienenen Interview mit dem deutschen Innenminister Otto Schily entstammt mit hoher Wahrscheinlichkeit der retroaktiven Kreativität der fragenden Journalisten:
“Ein anständiger Bürger habe nichts zu befürchten. Ist das ein Satz, den Sie in seiner erhabenen Simplizität gelten lassen?”
Für weitere Hinweise auf Meilensteine dieser unterschätzten Literaturgattung wäre camp catatonia äußerst dankbar.
leider gerade keine zeit, aber in den nächsten tagen werde ich sicher liefern. das problem besteht darin, dass man Q&As mit schilys nicht wegschmeißen kann, weil er sonst sauer ist; dass er aber nichts sagt; dass man deswegen versucht, wenigstens die fragen aufzujazzen. habe ich auch schon gemacht und bin gelegentlich peinlich prätentiös gewesen dabei.
ich kann mich auch noch an einen freund erinnern, der ein interview mit einem bohlen-artigen menschen machte und plötzlich stand da in der frage die wendung "die normative kraft des faktischen". sehr hübsch.
klingt ja vielversprechend. Vielleicht eine kleine Sammlung anlegen: Schily-Interviews mit den aufgejazztesten Fragen?
katatonik (Oct 30, 07:52 pm) #