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- 15 04 2002 - 18:01 - katatonik

Demonstration und Gegendemonstration, antiperistaltisch betrachtet

Keine Überraschungen. 120 oder so rechtsextreme Demonstranten, ein paar Tausend, die gegen deren Demonstration demonstrieren. Früher oder später fliegen Ziegel und Steine oder sonstwas. Früher oder später wird die Polizei gewaltsam. Menschen werden verletzt.
Wenig überraschend auch, dass im Nachhinein die einen Gewaltbereitschaft verdammen und mit den anderen identifizieren, wogegen die anderen die Friedlichkeit eigenen Handelns betonen und von einigen wenigen Gewalttätern reden. Hierzulande keift man sich ja immer damit nieder, dass ja nix politisch gewaltsam vor sich gehen soll, und vor lauter besorgtem Unterbeweisstellen der eigenen Gewaltlosigkeit und Denunzieren der Gewalttätigkeit von anderen geht die Politik dann meist flöten. Als diese Regierung ihr Amt antrat, war ja unter anderem auch davon die Rede, dass Österreich noch nicht einmal den Bürgerkrieg von 1934 “bewältigt” hätte. Im öffentlichen Umgang mit Demonstrationen und Gewalt schreit einem dieses Manko ja gewissermaßen schon entgegen, dass es wehtut.

Fast putzig, dass die beiden Ingenieure dessen, was sich hierzulande “Regierung” nennt, es “nicht absehbar” finden, dass rechtsextreme Demonstranten – die im Vorfeld der Demonstration durch einen simplen Blick auf diese oder jene Homepage unzweifelhaft als rechtsextrem herauszufinden gewesen wären – Naziparolen schreien würden. Wenig überraschend auch, dass von Ingenieursseite nun die Ausschreitungen, allesamt linken Gewalttätern zugeschrieben, als Grund verwendet werden, Einschränkungen des Demonstrationsrechts zu verlangen.

Die Demokratiefähigkeit der öffentlichen Diskussion, wie sie hie und da in Online-Foren aufblitzt, zeigt sich aber meiner Meinung nach an etwas ganz anderem. Rechtsextremismus ist degoutant, dumm und das Letzte. Es gibt aber doch wohl gute Gründe, das Recht auf freie Meinungsäußerung (und auch Demonstrationen sind eine Form von Meinungsäußerung) nicht auf Meinungen zu beschränken, die niedlich, gescheit und supertoll sind.

Es gibt möglicherweise sogar gute Gründe, Rechtsextremen eine Demonstration am Heldenplatz nicht zu untersagen. Zumindest finde ich, die dauernde Rederei vom geschichtlichen Symbolwert des Ortes und mangelnder Sensibilität der Polizei bei der Genehmigung der Demonstration müßte doch auch mal hinterfragt werden. Wo steht es geschrieben, dass Bedachtname auf symbolische Wirkungen oberstes Prinzip bei demokratiepolitischen Entscheidungen sein muß?

Es gibt vieles, worüber man derzeit kotzen kann. Über hirnfreie Neonazis, blöde Steinewerfer, Polizisten, die ihr Deeskalierungshandbuch noch nicht einmal aus der Plastikverpackung geschnitten haben und die offenbar zu blöd sind, Baustellen abzuriegeln, über Scheinpolitiker, die eigentlich nur Ingenieure sind. Über das dauernde Rumschweben im symbolischen Bereich bei Außerachtlassung von Grundrechtsfragen wird meiner Meinung nach viel zu wenig gekotzt.

Nachtrag: Eine Freundin hat mir von der gestrigen ORF-Diskussionssendung “Betrifft” zur Wehrmachtsausstellung erzählt. Als Gast geladen war Lothar Höbelt, FPÖ-eigener (“FPÖ-naher” wäre ein Euphemismus) Historiker. Auch ein Kameradschaftsbundsvertreter war dar, der seit Jahren persönlich in einen Rechtsstreit mit den Organisatoren der Ausstellung verwickelt ist. Helmut Zilk war auch da. Dazu Leon Zelman und Hans Mommsen (Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Ausstellung). Natürlich lauter einigermaßen alte Herren, weil im ORF bei Diskussionssendungen hochrangiger Art offenbar keine Frauen mehr vorkommen. Natürlich nur Leute, die entweder in pro oder contra zuzurechnen sind und natürlich nicht ihrer Sachkompetenz halber eingeladen werden, und natürlich wurde betont, man würde ja nicht “polarisieren” wollen. Ich lad’ mir gern mal Extremisten ein, aber polarisieren, nein, das tu ich nicht.

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