Jelinek und das Brennen unter den Nägeln
Der Wörterberg verlieh unlängst seinem Staunen darüber Ausdruck, dass sich Elfriede Jelinek in einem Interview so gar nicht analytisch begabt zeigt. Mir brennt schon seit einiger Zeit Einiges unter den Nägeln zum Thema Elfriede Jelinek, das auch mit dem Thema Marlene Streeruwitz zu tun hat, recht undurchdacht ist, aber vielleicht doch ganz einfach mal raus muß. Ich kann das jetzt nicht alles mit klugen Hinweisen auf Bücher und Texte unterlegen; im Kopf ist da so ein diffuser Eindrucksbrei, in dem vielleicht auch so Einiges durcheinander geraten ist.
Der Eindrucksbrei spricht: Bei Jelinek und Streeruwitz habe ich den Eindruck, es geht um ein Entlarven einer häßlichen Schicht Realität hinter und unter dem österreichischen Alltag, die, sobald man unter einer Oberfläche kratzt, die aus Dirndln, Jodeln und Gebirgsromantik besteht, verschissene, gewaltbereite Faschisten und Faschistinnen allerorten bloßlegt. Zum Alltagsfaschist wird man in diesem Universum leicht; es genügt, Österreicher zu sein. Es genügt wahrscheinlich einfach, heute in Europa zu leben.
Was der Alltagsfaschismusentlarver eigentlich mit “Faschismus” meint, wird mir nie so recht klar. Es geht aber offenbar um Gewalt, die Menschen schon allein dadurch angetan wird, dass sie in “normalen” Verhältnissen aufwachsen; diese Gewalt sei nun etwas, das diesen normalen Verhältnissen inhärent sei. Das Normale ist gewalttätig. Man kann dies als psychologische oder philosophische These ruhig diskutieren, wenngleich sich dadurch zwischenmenschliche Beziehungen wohl einigermaßen erschweren werden oder sich vermutlich auf jene Atmosphäre übersorgsamer Bedachtsamkeit beschränken werden, die man aus Umfeldern gesteigerter politischer Korrektheit kennt. Man erschwert sich dadurch das Leben vielleicht ähnlich wie ein radikaler Descartes-Anhänger, der seinen Zweifel an der Existenz der Außenwelt so sehr verinnerlicht, dass ihm schon die Nahrungsaufnahme ein Ding der Unmöglichkeit wird. Radikalität, die dadurch entsteht, dass sie verstörende, schockierende Ereignisse als in den Verhältnissen und der Welt inhärent hinausposaunt, kippt sich letztlich nur aus der Welt hinaus. Warum den radikalen Zweifel zum Modell des Normalzustandes machen? Warum die Vergewaltigung zum eigentlichen Moment zwischengeschlechtlicher Beziehungen erheben?
Was mich tatsächlich verstört, ist, dass diese Art der Entlarvungsgeste in Österreich offenbar als politisch empfunden und als politisch relevant diskutiert wird. Seit Jahren frage ich mich: was ist daran eigentlich politisch? Wie kann das Entlarven des Alltags als faschistisch eine Aussage politischer Art darstellen? Was für ein merkwürdiges Verständnis von Politik ist es, das solche Aussagen der Selbstparalyse in den Prinzipienkanon politischen Denken und Handelns aufnimmt?
Welche politischen Konsequenzen lassen sich im Rahmen eines demokratischen Systems daraus ziehen, dass alle Faschisten sind, die in “normalen” Verhältnissen aufgewachsen sind? Bleibt uns da nicht nur der Weg dazu, den Faschisten in uns anzuerkennen und uns moralisch büßerartig zu kasteien, diversen Reinigungsritualen zu unterwerfen und in ständiger Entschuldigungsgeste die Göttin der Demokratie dafür um Verzeihung zu bitten, dass wir halt einfach nicht reif für sie sind?
Die Entlarvung des Normalen als faschistisch läßt als politisches Programm kaum mehr als radikale Utopie zu – die dann darin mündet, dass der in nicht “normalen” Verhältnissen Lebende zum eigentlich politisch Mündigen erklärt wird, siehe Romantisierung von sozialen und ethnischen Minderheiten. Alternativ bleibt nur der Rückzug in eine Position moralistischer Metaphysik.
Selbstparalyse. Etwas, das in der österreichischen Literatur und Gesellschaft gar nicht so selten vorzukommen scheint: der zweifelhafte Charakter gewisser verstörender Phänomene wird aufgeblasen in eine hysterische Aussage über die Verrottung des ganzen Staates, und da man als Einzelner kaum dieser Verrottetheit entkommen kann, zieht man sich in die einsame Gesellschaft der schockiert Paralysierten zurück und läßt hie und da ein paar empörte Kommentare in die verrottete Öffentlichkeit ab. Diese Dynamik läßt sich an verdammt vielen Themen durchspielen. Alltagsrassismus, und so weiter. Sie trifft sich auf für mich erschreckende Weise mit einem rhetorischen Topos, dem ich bei politischen Aktivisten oder Philosophen sehr oft begegne: dieses Beharren darauf, dass man sich schon dadurch, dass man das Wort “Ausländer” verwendet, als Alltagsrassist entlarvt, undsoweiter. Romantisierung ethnischer Minderheiten. Fetischisierung des Marginalen. Gewisse Strömungen in der österreichischen Literatur treffen sich aufs hervorragendste mit gewissen Motiven zeitgenössischen Denkens. Bei beiden handelt es sich letztlich, so kommt mir vor, um Bewegungen, die eine soziale und politische Verfaßtheit von Personen durch einen psychologisierenden Zerrspiegel sehen und dramatisieren, anstatt in irgendeiner Form eine Analyse vorzunehmen.
Nein, wer Alltagsfaschismen behauptet, der analysiert nicht politische Verhältnisse. Der kann das aus dieser Position heraus vielleicht gar nicht. Interessiert ihn vielleicht auch gar nicht.
Besser kann ich das jetzt auch nicht artikulieren, aber vielleicht fällt jemandem noch was dazu ein.
was das interview angeht, auf das ich mich bezog: da hat doch die jelinek eine antwort gegeben, die realpolitischer nicht sein könnte, und ich fand das entsetzlich, weil ich gerade von ihr auf so eine frage einen anständigen hysterischen anfall erwartet hätte. stattdessen hat sie nur artige sachen gesagt. wie passt das in diesen deinen zusammenhang?
Allgemein finde ich dramatisierung und übertreibung etc. nicht besonders bedrohlich; ist das nicht eher ein problem der linken in der defensive? "Selbstparalyse" durch ständiges rufen von "faschismus!" sehe ich ansatzweise allenfalls bei autonomen gruppen. Vielleicht ist das aber in Österreich häufiger anzutreffen. Und "ausländer": im prinzip ja, aber wann und wo wird schon einfach so, ganz ohne attribuierungen, das wort "ausländer" gesprochen? höchstens auf dem passamt, würde ich meinen. Assoziiert hier irgendjemand spontan "reich und schön", wenn er "Ausländer" hört? Also ich kann das nicht mehr, weil es sich in jahrzehnten so eingefressen hat, dass die dunklen, armen und irgendwie gefährlichen damit gemeint sind. ist ein bisschen bedauerlich, aber ich glaube, das wort ist vorerst vergiftet.
Es gibt da einen Markt, der mit Entlarvungen bedient sein will. Und es tut den Mächtigen nicht weh. Im Gegenteil.
gHack (May 14, 11:54 am) #
marco, das könnte so zusammenpassen, dass dann, wenn realpolitische aussagen gefordert werden, wohl eben relativ unanalytisches zeug rauskommt. als hysteriker (jetzt mal überspitzt gesagt) bemüht man sich vielleicht, gelegentlich mal auch im alltag unhysterisch daherzureden. dann kommt aber, grad weil man hysteriker ist, trotzdem noch nichts vernünftiges raus. übertreibungen helfen, begrenztheiten kenntlich zu machen, besonderheiten im sprachgebrauch aufzuzeigen, die nicht selbstverständlich sind und etwas über den zustand von gesellschaft und politik aussagen. aber aus übertreibungen wird keine politik. ich finde es schon bedenklich, wenn in politischen diskussionen zu viel über sprachgebrauch diskutiert wird. man kriegt dann oft das gefühl, gut, sagen wir halt nicht "ausländer" sondern "solche menschen, die zwar hier leben und steuern zahlen, denen dafür aber eine menge an rechten vorenthalten wird und die auch nicht gerade nett behandelt weden". und dann?
Fanz Fuchs hat natürlich recht. mir scheint es aber - das sage ich bei sehr oberflächlicher kenntnis von jelineks jüngeren texten, ich kann also gut falsch liegen -, dass die entlarvungsstrategie in fiktionalen texten unter umständen eine haltung bedingt, in der auch essays zur politik letztlich nur darin bestehen, den wahnsinn, der in österreich besteht, zu geißeln. auch wenn man sich auf punktuelle ereignisse konzentriert. der literarische entlarver stellt politisch an den pranger. und damit hat sich's. oder?
katatonik (May 14, 01:32 pm) #
Zuerst müßte man unterscheiden zwischen den Aussagen, die Frau Jelinek in ihrem (1) erzählerischen Werk macht und denjenigen in Essays etc., also eine Differenzierung zwischen fiktionalen und (2) nicht-fiktionalen Texten. [Ich hoffe, daß katatonik meine Argumentation nicht als Unterstellung versteht, sie wüßte um diesen Unterschied nicht Bescheid ;-)]
Der Realitätsgehalt Deiner amüsant-pointierten Zusammenfassung des Jelinekschen Programms ("Entlarven einer häßlichen Schicht Realität...") ist halt bei (1) anders als in (2) zu beurteilen, nämlich auch als intensitätssteigernde, verdeutlichende Figur. Wie ich gestehen muß, passiert es allerdings, daß mir ihre Sprachspiele (weniger freundlich: Kalauer) und sonstigen rhetorischen Mittel in den Essays seltsam mythisierend (vielleicht bedingt durch den Einfluß der Psychoanalyse auf J.) und daher weniger überzeugend vorkommen.
Mit freundlichen Grüßen
Franz Fuchs
ich beziehe mich auf jelineks literarisches schaffen, und da bin bei 'die kinder der toten' stehengeblieben, was ja nicht mehr ganz aktuell ist. ich bin deswegen da stehen geblieben, weil mir an dieser stelle zugegebenermaßen der gebetsmühlenartig immer und immer wieder zelebrierte haß von jelinek auf alles mögliche anfing auf die nerven zu gehen. nicht mehr und nicht weniger, will sagen, ich befand, daß sie thematisch einfach ihrem schreiben keine neuen aspekte mehr hinzuzufügen hatte. interviews mit jelinek habe ich weder gelesen, noch gesehen oder gehört. bis dahin schien es mir aber, daß es der jelinek schon um mehr ging, als nur immer und überall faschismus im alltag nachzuweisen. klar hat sie auch dieses thema immer wieder behandelt, in ihrem drama 'stecken, stab und stangl' ist es ja an einem beispiel aus dem österreichischen tagesgeschehen (mehrere sinti und roma wurden auf barbarische art und weise in die luft gejagt) ausschließliches thema. dennoch beschäftigt sie sich ja auch zum beispiel mit der zurichtung von menschen und deren körpern (gerne am beispiel von sexualität, hochleistungssport und populär-kultur) und deren ungebrochenen gesellschaftlichen reproduktion. damit formuliert sie auf eine zugegebenermaßen bis zur völligen hoffnungslosigkeit gesteigerten art und weise das scheitern emazipatorischer bewegungen und eine kritik an modellen der aufklärung. sie folgt damit theoretischen ansätzen, die auch foucault oder adorno ähnlich, wenn auch eben auf theoretischer ebene und wesentlich avancierter vor ihr formuliert haben. worauf ich hinaus will: daß da der politische ausweg nicht mitformuliert wird, also der praxisbezug fehlt, das kann man nun beim besten willen keinem schriftsteller vorwerfen. die zuspitzungen von jelinek sind insofern gerechtfertigt, als daß sie einfach als metapher für die zustände in bestimmten gesellschaftlichen bereichen gelten. daß man sich als leser selbst als vergewaltiger oder faschist entlarvt fühlen muß ist ein mißverständnis. das beispiel von descartes unterstützt meine these: oder hat schon mal jemand was davon gehört, daß menschen aufgrund von 'descartismus' verhungert wären? es geht doch um eine bestimmte herangehensweise an erkenntnisprozesse. das verlangt auch die jelinek: sich von der glatten bürgerlichen oberfläche nicht dumm machen zu lassen, bei dem was oberflächlich hervorragend zu funktionieren scheint skeptisch zu sein. ich bin der meinung, daß diese forderung in anbetracht der derzeitigen politischen entwicklungen in ganz europa und des beispiellosen siegeszugs neoliberaler ideologie mit all ihren begleiterscheinungen mehr als aktuell ist.
ich schließe mich der von frfuchs getroffenen unterscheidung unbedingt an, und beziehe mich, wie bereits erwähnt nur auf ihre prosa-texte und dramen. ob ich mir jetzt so einen mammut-hammer wie das sport-stück wirklich im theater hätte anschauen wollen, ist allerdings eher fraglich. auch würde ich, hätte ich die wahl zwischen einem vergnüglichem abend und einem fersehinterview mit jelinek, wahrscheinlich dem vergnügen den vorzug geben.