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- 2 05 2021 - 14:36 - katatonik

Hochgespülte Erinnerung

In Wien erschoss ein 42jähriger in der Nacht auf den 30.4.2021 eine 35jährige Frau; sie war seine Partnerin oder Ex-Partnerin. Am 5.3. wurde, ebenfalls in Wien, eine 35jährige Trafikantin von ihrem Ex-Partner im Geschäft mit einer brennbaren Flüssigkeit überschüttet und angezunden; sie verstarb einige Wochen darauf. Bis zum 30.4. wurden in Österreich insgesamt neun Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern ermordet. 2020 wurden laut Polizeistatistik 31 Frauen ermordet, 2018 waren es sogar 41 (Zahlen und Daten von den Autonomen Österreichischen Frauenhäusern).

Ich denke, es war im Sommer 1993. Eine laue Nacht, ich ging auf ein Konzert im WUK, dort begegnete ich zufällig meinem damals recht frischen Ex-Freund. Wir waren eineinhalb Jahre zusammengewesen. Beim Verlassen des Konzertes warf ich ihm einen blöden Witz hin, der deutlich machen sollte, dass er wohl während unserer gemeinsamen Zeit auch kein Heiliger gewesen sei. Als ich im Tordurchgang des Gebäudes war, fast schon auf der Straße, stieß er mich von hinten um. Ich kam am Bauch zu liegen, stieß mir den Kopf leicht am Pflaster, er setzte sich auf meinen Rücken und drückte mich nieder. Ich schrie, hatte das Gefühl, keine Luft zu kriegen.

Links, etwa zwei Meter entfernt, saß auf Treppenstufen eine kleine Gruppe junger Leute, drei oder vier; sie tranken Bier und scherzten. Ich schrie und brüllte; sie taten nichts. Ich habe die Situation so in Erinnerung, als hätten sie die doch etwas ungewöhnliche Szene da direkt vor ihren Augen nicht einmal bemerkt. War es so? Wer weiß. Nach einer gefühlten Ewigkeit stand der Ex-Freund auf und ging nach draußen auf die Straße. Ich ging ihm nach und brüllte ihn an. Er lief weg. Ich sah ihn an diesem Abend nicht wieder.

Ich stand unter Schock und machte mich auf in die Wohnung einer Freundin, wo ein, zwei andere Freunde herumsaßen. Genau kann ich mich nicht erinnern, was wir besprachen und was im Einzelnen geschah, doch einige Zeit später machte ich mich auf zur nächsten Polizeistation und erstattete Anzeige. Die Trennung lag zu diesem Zeitpunkt nicht lange zurück; der Ex-Freund hatte noch einen Schlüssel zu meiner Wohnung. Ich war unschlüssig, ob ich nach Hause zurückkehren sollte, aber ich tat es, sagt mir die Erinnerung, dann doch. (Es war möglich, die Wohnungstür von innen so zu versperren, dass man sie von außen nicht öffnen konnte.)

Während der darauf folgenden Wochen erhielt ich meinen Schlüssel von ihm zurück. Gab es noch Streitigkeiten? Ich weiß es nicht mehr. Die Trennung wurde verfestigt; Handgreiflichkeiten gab es keine mehr. Die hatte es zuvor ebenfalls selten gegeben. Umso häufiger aber Situationen der emotionalen Erpressung und Erniedrigung, in denen ich mich zu Handlungen und Verhaltensweisen genötigt sah, die mir widerstrebten (einer der Trennungsgründe). Damals, 1993, fragte ich mich, wie es so weit kommen konnte, und ich weiß es bis heute nicht. Man kann in so etwas hineinstolpern, hineinfallen, das ist intelligenzunabhängig.

Einige Wochen nach der Anzeige erhielt ich eine Ladung zu einem Termin bei der Polizei (Ladung? Einladung?). Ich fand mich dort einem Polizeibeamten in Zivil mittleren Alters gegenüber, ein freundlicher Herr, der mich erzählen ließ, was geschehen war und zuhörte. “Hat er sowas früher schon einmal gemacht?” war dann die Frage, an die ich mich bis heute erinnere. Wahrscheinlich sagte ich darauf: “Nein, sowas nicht, aber bedroht hat er mich schon, ja, öfter.” Der Beamte dann sinngemäß: “Wenn Ihnen sowas wieder passiert, haun’S beim ersten Mal ab. Solche Typen machen das nie nur einmal, das machen die immer wieder. Des wird nix mehr, glauben’S mir.” Solche Beamte braucht das Land. Und mehr.

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